Jeder kann mal Robin sein
fortfuhr: »Angebunden, sie ist angebunden.«
»Was? Was ist sie?«
»Angebunden. Im Bett.«
»Dann mach sie doch los!« rief Judy.
»Hab ich schon versucht, geht nicht. Da sind so viele Knoten. Die krieg ich nicht auf. Und die Kleine zittert so. Taschenmesser geht nicht.«
»Dann muß einer von uns rauf!« Judy stellte sich entschlossen vor den Blonden. »Am besten, du machst wieder den Untermann. Und wer klettert rauf?«
Veronica zupfte Paul am Ärmel. »Du hast uns doch oft gezeigt, wie man Schifferknoten schlingt und löst. Na, wie wär’s?«
»Ich?« Paul riß die Augen auf und starrte Veronica an, als wäre sie eben aus dem Loch Ness getaucht. Dann - die Robinianer trauten ihren Augen nicht - riß er seinen Anorak auf, schmiß ihn in den Schnee und gab dem Blonden einen Schubs zum Balkon hin. Ehe er sich’s versah, hievten Martin und Klaus Paul auf die Schultern des Blonden. Sogleich umklammerte Paul das Balkongitter, zog sich hoch, kletterte auf den Balkon und verschwand hinter der offenen Tür.
Alle, Astros und Robinianer, hielten den Atem an und lauschten. Anfangs war nichts zu hören.
Dann ein unterdrückter Ausruf von Paul. Und dann eine dünne Kinderstimme: »Ich hab Strafe.«
Tine bekam eine Gänsehaut. »Hört ihr? Was anderes sagt sie nicht.« Sie ließ die Balkontür nicht aus den Augen.
Endlich wurde sie weit geöffnet, Paul trat auf den Balkon und beugte sich über das Geländer. »Und wie sollen wir die Kleine runterkriegen?«
»Natürlich durch die Wohnungstür.«
»Denkste ! « Paul fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Abgeschlossen. Und nirgends ein Schlüssel.«
Der Rotschopf schob sich vor. »Immer mit der Ruhe. Paßt mal auf! Du hebst die Kleine übers Gitter, und wir fangen sie auf.«
»Und wenn sie sich dabei was tut?« gab Klaus zu bedenken.
»Was wollt ihr? Wir haben doch die Plane!« rief Judy.
»Hab ich doch gleich gesagt«, rief der Astro, der sie geholt hatte.
»Her damit! Los, Paul!«
Im Nu griffen alle Hände nach der Plane, hoben sie hoch und stellten sich im Kreis unter dem Balkon auf.
Dann erschienen Paul und Kalli. Zwischen ihnen hing Lilly mit vornübergebeugtem Kopf, die Augen geschlossen. Am Balkongitter machten sie halt.
»Heb sie übers Gitter, Paul.« Ede und der große Blonde hoben die Plane je an einem Ende so hoch sie konnten. »Halte sie an den ausgestreckten Armen und laß sie vorsichtig runtergleiten. Ist ja nicht hoch.«
Langsam hob Paul Lilly über das Balkongitter und ließ sie in die erhobene Plane gleiten. Sanft ließen die Untenstehenden das Tuch in den Schnee sinken.
Tine und Judy beugten sich über Lilly. Reglos, mit angezogenen Knien, lag sie da, die Augen geschlossen.
»Lilly«, Tine hielt den Mund ganz nahe an Lillys Ohr. »Es ist alles gut. Tut dir was weh?«
Judy richtete sich auf. »Ich glaube, sie ist ohnmächtig.«
Eins von den Astromädchen nahm eine Handvoll Schnee und rieb Lillys Schläfen damit ein. Keiner sagte ein Wort.
Max schluckte. »Wenn sie nun tot ist, Tine!«
Tine nahm seine Hand. »Keine Angst! Siehst du nicht, wie ihre Lider zittern?«
In dem Augenblick, als Lilly die Augen aufschlug, fing Max an zu weinen. Alle standen im Kreis um die Plane herum und sahen zu, wie Veronica Lilly behutsam aufrichtete, Judy sie im Rücken stützte, Tine ihr ins Ohr flüsterte: »Lilly. Ist alles okay. Brauchst keine Angst zu haben. Wir helfen dir.«
Bei diesen Worten begann Lilly zu zittern. Ihre Zähne schlugen aufeinander.
»Man muß ihr was anziehen!« Klaus hob Pauls Anorak auf und hüllte Lilly darin ein.
»Und nun?« rief Paul von oben. »Gehen wir jetzt mit ihr zur Polizei?«
Ede nickte. »Wird wohl das beste sein.«
»Später«, meinte Veronica. »Seht ihr nicht, wie sie zittert? Sie muß zuerst mal in ein warmes Bett.«
»Ich nehm sie mit heim.« Judy versuchte Lilly hochzuheben, Tine half ihr dabei. Lilly machte sich steif. Sie vergrub das Gesicht an Tines Hals.
Tine sah Judy fragend an, die nickte zustimmend.
Tine beugte sich vor. »Ich nehm dich mit, Lilly. Mich kennst du doch. Wir haben schon miteinander gesprochen. Weißt du noch? Da bei den Müllkästen. Und im Treppenhaus.«
Die beiden Mädchen griffen Lilly unter die Arme, Ede hob ihre Füße an. Die anderen folgten.
Auf dem Weg zur Haustür wurden sie durch Pauls Rufe aufgehalten. »Na und? Ihr zieht einfach ab. Der Knirps und ich sollen hier wohl übernachten, oder wie?«
»Ist doch klar.« Der Blonde lief zurück. »Ihr kommt runter, wie
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