Jeder kann mal Robin sein
hielt unter der Kastanie an. Schweigend schauten alle zum Hochparterre hinauf, wo Lilly wohnte.
Tine drehte sich zu den anderen um. »Seht ihr? Die Balkontür ist gekippt.«
»Aber verdammt eng.« Der Rotschopf scharrte mit den Füßen im Schnee. »Wie da einer durchkommen soll, seh ich nicht.«
»Aber ich.« Kalli reckte sich und schätzte den Spalt mit den Augen ab. »Wenn einer den Untermann macht, damit ich auf den Balkon klettern kann, schaff ich’s.«
Der große Blonde trat unter den Balkon, zog den Kopf ein und machte den Bock. Ede und der Rotschopf wollten Kalli gerade auf seine Schultern heben, da knirschten Schritte im Schnee, und jemand sagte: »Nanu, was ist denn hier los? Kleine Demo oder was?«
Erschrocken fuhren die Kinder auseinander.
Verwirrt starrte Martin seinen Vater an. »Wo kommst du denn her?«
»Aus dem Büro, mein Junge. Ich habe mir erlaubt, den hinteren Hofeingang zu benützen, weil man in der Seitenstraße besser parken kann. Und du, was treibst du hier? Gar nicht am Computer?«
»Och, wir ... spielen bloß. Bißchen Abenteuer und so.«
»Und so. Na, dann wünsche ich noch einen spannenden Abend.«
Herr Unger lüftete den Hut und schritt auf den linken Häuserblock zu. Stumm blickten ihm alle nach.
Als er im Hauseingang verschwunden war, befahl Judy: »Späher zum hinteren Hofeingang!«
Sofort flitzte Max über den Hof und wäre beinahe mit einem jüngeren Astro zusammengeprallt, der sich unbemerkt davongemacht hatte und jetzt irgend etwas hinter sich herschleifte. Als er näher kam, sahen alle, daß es eine Art Plane war.
Das Mädchen mit den Zöpfen trat ihm in den Weg. »Was soll denn das?«
»Springtuch, aus unserem Keller.« Der Junge wischte sich übers Gesicht. »Kam mal im Fernsehen.«
»Mensch, du bist ’n As!« rief Judy. »Wie sollen wir die Kleine sonst heil runterkriegen?«
»Durch die Wohnungstür«, meinte der Rotschopf.
»Aber wenn die zugeschlossen ist?« gab Tine zu bedenken.
»Nun quatscht nicht lange und fangt erst mal an!« Der Rotschopf stapfte ungeduldig hin und her.
»Bin ja schon dabei.« Der Blonde spreizte die Beine, hielt seinen Nacken hin. Martin wollte Hilfestellung geben, aber Kalli hatte sich bereits an dem Astro hochgezogen und balancierte im nächsten Augenblick freihändig auf dessen Schultern.
»Langt es, kommst du ran?« fragte sein Untermann.
»Klar.« Schon hatte Kalli die Hände im unteren Gitterwerk des Balkons verkrallt. Martin und Klaus stemmten seine Füße hoch, so daß er sich mit den Händen raufziehen und ein Bein über die Brüstung schwingen konnte. Gleich darauf stand er auf dem Balkon.
Ein unterdrückter Freudenschrei bei Robinianern und Astros. Alle Köpfe waren nach oben gewandt. Atemlos sahen sie zu, wie Kalli versuchte, sich durch den schmalen Spalt zwischen Balkonfenster und Hauswand zu winden. Tine krallte vor Aufregung die Finger in die Handflächen.
»Jetzt«, stieß Martin hervor.
Kalli zog das linke Bein nach, mit dem rechten war er schon im Zimmer. Schweigend sahen alle nach oben und verfolgten, wie Kalli hinter der Gardine verschwand.
»Was treibt ihr denn da?« Die Stimme, die hinter ihnen aus der Dämmerung kam, traf jeden einzelnen wie ein Schlag. Die Köpfe fuhren herum. Die Robinianer standen ihrem alten Häuptling gegenüber. Großes Schweigen.
Dann sagte Ede: »Hau ab, Paul, du störst.«
»Das glaub ich.« Paul kam einen Schritt näher. »Ein Einbruch. Und die Astros sind auch beteiligt. Interessant.«
Ede ballte die Fäuste. Da trat Judy zwischen die beiden. »Am besten, du verziehst dich, Paul!«
»Ja!« Martin trat an ihre Seite. »Das ist unsere Angelegenheit.«
»Eure Angelegenheit! Ist ja weit mit euch gekommen. So was gehört gemeldet.«
»Wenn der jetzt zu dem Gisborne geht!« Max hatte seinen Späherposten verlassen.
»Das wird er schön bleibenlassen!« sagte Veronica. »Schließlich war er ja auch mal Robinianer und weiß, daß man Unterdrückten helfen muß, oder?«
Paul verzog den Mund. »Ich hör immer Unterdrückte. Wo sind sie denn, eure Unterdrückten?«
»Da oben!« Max war nicht mehr zu halten. »Und wenn du jetzt hingehst und petzt, dann bist du noch viel gemeiner als Gisborne.«
Paul wollte etwas erwidern, kam aber nicht dazu, denn jetzt wurde im Hochparterre die Balkontür aufgestoßen, und Kalli beugte sich über die Brüstung. »Sie ist drin!« Er versuchte zu flüstern, aber es gelang ihm nicht, es hörte sich eher an wie ein unterdrückter Schrei, als er
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