Jeder stirbt für sich allein
Kartoffelsack, drunter und drüber, ganz egal, wie's grade kam.
Und als Borkhausen unten ächzend und ein wenig blutend liegenblieb, aber nur wenig, noch ganz betäubt von dem Sturz, faßte ihn der nächste Posten beim Kragen, schrie: «Willst du Schwein uns hier den schönen Fußboden vollsauen?», schleppte ihn zum Ausgang und warf ihn auf die Straße.
Der Kommissar Escherich hatte den Anfang dieses
Sturzes, bis die Treppe ihn seinen Blicken entzog, mit Behagen angesehen.
Die Vorübergehenden auf der PrinzAlbrecht-Straße vermieden es ängstlich, den im Dreck liegenden Unglücklichen zu betrachten, denn sie wußten es ja, aus welchem gefährlichen Hause er hinausgeworfen war. Es war vielleicht schon ein Verbrechen, solchen Verunglückten mitleidig anzusehen, helfen durfte man ihm schon gar nicht.
Der Posten aber, der mit schweren Schritten jetzt wieder am Ausgang auftauchte, sagte: «Wenn du Schwein in drei Minuten noch unsere Fassade schändest, denn mache ich dir Beine, und das nicht zu knapp!»
Das half. Borkhausen raffte sich auf und taumelte mit schweren, schmerzenden Gliedern nach Hause. Innerlich aber brannte er mal wieder vor hilflosem Haß und Zorn, und dieser Haß brannte ihn stärker, als seine Verletzun-gen weh taten. Er war fest entschlossen, für diesen Schur-ken von Kommissar keine Hand zu rühren, der sollte sich seinen Enno Kluge allein suchen!
Aber am nächsten Tage, als der Zorn etwas gelinder geworden war und die Stimme der Vernunft wieder zu sprechen anfing, sagte er sich, daß er erstens vom Kommissar Escherich zehn Mark bekommen hatte, und für die mußte er arbeiten, sonst bekam er unweigerlich eine Betrugsan-zeige. Und zweitens war es überhaupt nicht gut, es mit so hohen Herren ganz zu verderben. Die hatten nun mal die Macht, und wer klein war, der mußte sich fügen. Das mit dem Rausschmiß gestern hatte sich schließlich von selbst ergeben. Wäre er nicht gegen die Ordonnanz geprallt, wäre es ganz gelinde abgegangen. Sie sahen es wohl als einen Witz an, und wenn Borkhausen gesehen hätte, daß man einen andern so behandelte, hätte er auch herzlich gelacht, zum Beispiel über einen gleicherweise abgefeuerten Enno Kluge.
Ja, das war der dritte Grund, warum Borkhausen den Auftrag doch lieber ausführte: er konnte damit dem Enno Kluge eins auswischen, der ihm durch seine blöde Sauferei das ganze schöne Geschäft vermasselt hatte.
So begab sich Borkhausen, wenn auch mit schmerzenden Knochen, so doch guten Willens voll, in jene beiden Lokale, die auch der Kommissar Escherich aufgesucht hatte, und in einige weitere noch. Er fragte nicht nach Enno bei den Wirten, er stand nur da und lümmelte sich, er trank langsam, über eine Stunde, an einer Molle, redete auch ein bißchen von Pferden, über die er durch das ewige Zuhören sogar etwas wußte (war aber gänzlich von jeder Wettleidenschaft frei) - und ging dann in das nächste Lokal, um es dort genauso zu machen. Er hatte Geduld, der Borkhausen, er konnte es ganze Tage so treiben, ihm kam es nicht darauf an.
Aber er brauchte gar nicht viel Geduld zu haben, denn schon am zweiten Tag sah er den Enno im Lokal «Ferner liefen». Er erlebte den Adebar-Triumph des Schmächtigen und empfand einen heftigen Neid wegen des Massels, den solch ein Idiot entwickelte. Außerdem wunderte ihn der Fünfzigmarkschein, den Kluge dem Buchmacher gegeben hatte. Durch Arbeit war der nicht erworben, das roch Borkhausen sofort. Der mußte sich ganz hübsch gebettet haben, der kleine Schleicher, der!
Es ist ganz selbstverständlich, daß die Herren Borkhausen und Kluge einander nicht kannten, sie sahen sich nicht einmal.
Nicht ganz so selbstverständlich ist es, daß der Kneipier den Kommissar Escherich nicht anrief, trotz seines festen Versprechens. Aber das war ja nun so, daß man die Gestapo fürchtete und in ständiger Angst vor ihr lebte; aber etwas anderes war es, ihr Handlangerdienste zu tun. Nein, so weit ging es auf der andern Seite auch nicht, daß Enno Kluge gewarnt wurde, aber jedenfalls wurde er nicht verraten.
Übrigens vergaß der Kommissar Escherich nicht diesen unterlassenen Anruf. Er gab einer bestimmten Abteilung darüber Nachricht, worauf dort über den Kneipier eine Kartothekkarte angelegt wurde, auf der das Wort
«Unzuverlässig» stand. Eines Tages, früher oder später, würde es der Kneipier schon zu spüren bekommen, was das hieß, bei der Gestapo für unzuverlässig zu gelten.
Von den beiden Herren verließ Borkhausen zuerst
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