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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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verwirrt. «Aber Herr Persicke! Eine reine Erziehungsmaßnahme! Der Behandelte bricht stundenlang, oft tagelang danach!»
    «Na, und was weiter? Lassen Sie ihn doch kotzen! Vielleicht macht ihm Kotzen Spaß! Mir hat er versichert, die grüne Spritze hätte ihm gutgetan. Er sehnt sich geradezu nach der zweiten. Warum verweigern Sie ihm das Mittel, da es ihn doch bessert?»
    «Nein, nein!» entgegnete der Arzt eilig. Und er setzte voll Scham über sich selbst hinzu: «Es muß ein Mißverständnis vorliegen! Ich habe noch nie gehört, daß Patienten eine Spritze mit ...»
    «Herr Oberarzt, wer versteht einen Patienten besser als der eigene Sohn? Und ich bin der Lieblingssohn meines Vaters, müssen Sie wissen. Ich wäre Ihnen wirklich sehr verbunden, wenn Sie dem Oberpfleger, oder wer dafür zuständig ist, jetzt noch in meiner Gegenwart die Weisung erteilen würden, meinem Vater sofort solch eine Spritze zu verabfolgen. Ich ginge sozusagen beruhigter nach Haus
    - habe ich dem alten Mann doch einen Wunsch erfüllt!»
    Der Arzt sah sehr blaß in das Gesicht seines Gegen
    übers.
    «Sie meinen also wirklich? Ich soll jetzt auf der Stelle?» murmelte er.
    «Aber kann denn an meiner Meinung noch ein Zweifel bestehen, Herr Oberarzt? Ich finde Sie für einen leitenden Arzt entschieden ein wenig weich. Sie hatten vorhin wirklich ganz recht: Sie hätten eine Napola besuchen und Ihre Führereigenschaften kräftiger entwickeln müssen!» Und er fügte boshaft hinzu: «Freilich gibt es bei Ihrem Geburtsfehler noch andere Erziehungsmöglichkeiten ...»
    Nach einer langen Pause sagte der Arzt leise: «Ich werde jetzt also gehen und Ihrem Vater seine Spritze machen ...»
    «Aber, bitte, Herr Doktor Martens, warum lassen Sie das nicht den Oberpfleger tun? Da es doch zu seinen Pflichten zu gehören scheint?»
    Der Arzt saß in einem schweren Kampf mit sich. Es war wieder ganz still im Zimmer.
    Dann stand er langsam auf. «Ich werde also dem Oberpfleger Bescheid sagen .»
    «Ich begleite Sie gerne. Ich interessiere mich mächtig für Ihren Betrieb. Sie verstehen, Aussonderung des nicht Lebenswerten, Sterilisierungen und so weiter ...»
    Baldur Persicke stand daneben, wie der Arzt dem
    Oberpfleger seine Weisungen erteilte. Dem Patienten Persicke sei die und die Spritze zu verabfolgen ...
    «Also eine Kotzspritze, mein Lieber!» sagte Baldur huldreich. «Wieviel geben Sie denn im allgemeinen? Soso, na, ein bißchen mehr wird auch nichts schaden, was?
    Kommen Sie mal, ich habe hier ein paar Zigaretten. Na, nehmen Sie schon die ganze Schachtel, Oberpfleger!»
    Der Oberpfleger bedankte sich und ging, die Spritze mit der grünen Flüssigkeit in der Hand.
    «Na, da haben Sie aber einen richtigen Bullen zum Oberpfleger! Ich kann mir schon denken, wenn der dazwi-schenschlägt, gibt's Kleinholz. Muskeln, Muskeln sind das halbe Leben, Herr Doktor Martens! Na, denn noch meinen schönsten Dank, Herr Oberarzt! Hoffentlich geht die Behandlung recht erfolgreich weiter. Na denn, Heil Hitler!»
    «Heil Hitler, Herr Persicke!»
    In seinem Dienstzimmer angekommen, sank der Oberarzt Dr. Martens schwer in seinen Sessel. Er fühlte, daß er an allen Gliedern zitterte und daß kalter Schweiß seine Stirn bedeckte. Aber er fand noch keine Ruhe. Er stand wieder auf und ging an den Medikamentenschrank. Langsam zog er sich eine Spritze auf. Aber es war keine grüne
    Flüssigkeit darin, so sehr er auch Grund fühlte, über die ganze Welt und sein Leben insbesondere zu kotzen. Dr.
    Martens zog Morphium vor.
    Er kehrte in seinen Sessel zurück, streckte die Glieder behaglich aus, auf die Wirkung des Narkotikums wartend.
    Wie feige ich doch bin! dachte er. Feige zum Ekeln! Dieser elende, freche Bengel - wahrscheinlich besteht der einzige Einfluß, den er hat, in seiner großen Schnauze. Und ich bin vor ihm gekrochen. Ich hätte es nicht nötig gehabt.
    Aber immer diese verfluchte Großmutter, und daß ich den Mund nicht halten kann! Und dabei war sie eine so reizende alte Dame, und ich habe sie so geliebt ...
    Seine Gedanken verloren sich, er sah die alte Dame mit dem feinen Gesicht wieder vor sich. In ihrer Wohnung roch es überall nach dem Potpourritopf mit Rosenblättern und nach Aniskuchen. Sie hatte eine so feine Hand, eine altgewordene Kinderhand .
    Und ihretwegen habe ich mich vor diesem Schuft gedemütigt! Aber ich glaube, Herr Persicke, ich werde doch lieber nicht in die Partei eintreten. Ich glaube, dafür ist es zu spät. Es hat schon ein bißchen sehr lange

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