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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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seiner Rede auf etwas, das noch nicht gesagt worden sei. Eine Bezugnahme könne nur auf Bekanntes, nie auf Unbekanntes erfolgen. Die Worte des Herrn Verteidigers stellten nichts als eine faule Ausrede dar.
    Der Verteidiger protestierte gegen den Anwurf, eine faule Ausrede gebraucht zu haben. Im übrigen könne man sich in einer Rede sehr wohl auf etwas noch Vorzutragen-des beziehen, dies sei eine bekannte Redekunst, Spannung auf etwas Kommendes zu erzeugen. So habe zum Beispiel Marcus Tullius Cicero in seiner berühmten dritten Philippika gesagt...
    Anna Quangel war vergessen; jetzt sah Otto Quangel mit vor Staunen geöffnetem Mund von einem zum andern.
    Ein hitziger Disput war im Gange. Es regnete Zitate in Latein und Altgriechisch.
    Schließlich zog sich der Gerichtshof abermals zurück, und Präsident Feisler verkündete bei seinem Wiedererscheinen zur allgemeinen Überraschung (denn die meisten hatten über dem gelehrten Disput den Anlaß völlig vergessen), daß dem Anwalt der Angeklagten wegen noch-maliger Übertretung eines Gerichtsbeschlusses das Wort entzogen sei. Die Offizialverteidigung der Anna
    Quangel sei dem zufällig anwesenden Assessor Lüdecke übertragen.
    Der graue Verteidiger verbeugte sich und verließ den Sitzungssaal, versorgter denn je aussehend.
    Der «zufällig anwesende» Assessor Lüdecke erhob sich und sprach. Er hatte noch nicht viel Erfahrung, er hatte auch nicht recht zugehört, er war vom Gerichtshof eingeschüchtert, außerdem war er zur Zeit stark verliebt und keines vernünftigen Gedankens fähig. Er sprach drei Minuten, bat um mildernde Umstände (falls der hohe Gerichtshof nicht anderer Meinung sein sollte, in welchem Falle er bat, seine Bitte als ungesprochen anzusehen) und setzte sich wieder, sehr rot und verlegen aussehend.
    Dem Verteidiger Otto Quangels wurde das Wort erteilt.
    Er erhob sich, sehr blond und sehr hochmütig. In die Verhandlung hatte er bisher in keinem Fall eingegriffen, er hatte sich nichteine Notiz gemacht, der Tisch vor ihm war leer. Während der stundenlangen Verhandlung hatte ersieh nur damit beschäftigt, seine rosigen, sehrgepfleg-ten Fingernägel sanft gegeneinander zu reiben und immer wieder genau zu betrachten.
    Jetzt aber sprach er, derTalar war halb geöffnet, eine Hand hatte er in der Hosentasche, die andere machte spar-same Gesten. Dieser Verteidiger konnte seinen Mandanten nicht
    ausstehen, erfand ihn widerlich, beschränkt, unglaubhaft häßlich und gradezu abstoßend. Und Quangel hatte leider alles getan, diese Abneigung seines Verteidigers noch zu verstärken, indem er trotz des dringenden Abratens Dr. Reichhardts dem Anwalt jede Auskunft verweigert hatte: er bedurfte keines Anwalts.
    Jetzt also sprach Rechtsanwalt Dr. Stark. Seine nasale, schleppende Redeweise stand in starkem Gegensatz zu den krassen Worten, die er gebrauchte.
    Er sagte: «Selten haben wohl wir alle, die wir hier zur Stunde in diesem Saale versammelt sind, ein solches Bild abgrundtiefer menschlicher Verworfenheit vorgeführt bekommen, wie es hier heute geschehen ist. Landesverrat, Hochverrat, Hurerei, Kuppelei, Abtreibung, Geiz-ja, gibt es denn ein menschliches Verbrechen, das mein Mandant nicht auf sich geladen, an dem er nicht teilgenommen hat?
    Hoher Gerichtshof, meine Herren, Sie sehen mich außerstande, einen solchen Verbrecher zu verteidigen. In einem solchen Falle lege ich die Robe des Verteidigers ab, ich selbst, der Verteidiger, muß zum Ankläger werden, und mahnend erhebe ich meine Stimme: die Gerechtigkeit nehme in ihrer äußersten Strenge den Lauf. In Abänderung eines bekannten Satzes kann ich nur sagen: Fiatju-stitia, pereat mundus! Keine Milderungsgründe für diesen Verbrecher, der den Namen Mensch nicht verdient!»
    Damit verbeugte sich der Verteidiger zur allgemeinen Überraschung und setzte sich wieder, sorgfältig die Hosen über den Knien hochziehend. Er warf einen prüfenden Blick auf seine Nägel und begann, sie sachte gegeneinander zu reiben.
    Nach einem kurzen Stutzen fragte der Präsident den Angeklagten, ob er noch etwas zu seinen Gunsten vorzutragen habe. Er möge sich aber gefälligst kurz fassen.
    Otto Quangel sagte, seine Hosen festhaltend: «Ich habe nichts zu meinen Gunsten zu sagen: Aber ich möchte meinem Anwalt aufrichtig für seine Verteidigung danken.
    Endlich habe ich erfaßt, was ein Linksanwalt ist.»
    Und Quangel setzte sich unter stürmischer Bewegung der andern.
    Der Anwalt unterbrach sein Nagelpolieren, erhob sich und

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