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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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verkündete nachlässig, daß er auf einen Antrag gegen seinen Mandanten verzichte; dieser habe nur wieder bewiesen, daßerein unverbesserlicher Verbrecher sei.
    Dies warder Augenblick, da Quangel lachte, zum erstenmal seit seiner Verhaftung, nein, seit undenklichen Zeiten, heiter und unbekümmert lachte. Die Komik, daß dieses Verbrechergesindel ihn ernsthaft zum Verbrecher stempeln wollte, überwältigte ihn plötzlich.
    Der Präsident ließ den Angeklagten wegen seiner unziemlichen Heiterkeit scharfan. Er erwog, mit noch schärferen Strafen gegen Quangel vorzugehen, aber dann fiel ihm ein, daß er alle nur möglichen Strafen bereits über den Angeklagten verhängt hatte, daß ihm nur noch die Ausschließung aus dem Verhandlungssaal blieb, und er bedachte, wie wenig es wirken würde, wenn er das Urteil in Abwesenheit beider Angeklagten verkünden würde.
    So beschied ersieh zur Milde.
    Der Gerichtshof zog sich zur Urteilsfällung zurück.
    Große Pause.
    Die meisten gingen, wie im Theater, um eine Zigarette zu rauchen.
    Die Hauptverhandlung: Das Urteil
    Bestimmungsgemäß hätten die beiden Schutzpolizisten, die jetzt Otto Quangel bewachten, während der Verhandlungspause ihren Gefangenen in die kleine Wartezelle abführen müssen, die für solche Pausen vorgesehen war. Da aber der Saal sich fast völlig geleert hatte und der Transport des Gefangenen mit den ewig rutschenden Hosen über die vielen Gänge und Treppen ziemlich umständlich, war, so glaubten sie sich über diese Vorschrift hinwegset-zen zu können und blieben plaudernd in einiger Entfernung von Quangel stehen.
    Der alte Werkmeister stützte den Kopf in die Hände und versank für wenige Minuten in eine Art Halbschlaf. Die siebenstündige Verhandlung, während der er seiner Aufmerksamkeit nicht einmal erlaubt hatte, abzutreten, hatte ihn erschöpft. Bilder zogen schattenhaft an ihm vorüber: die krallenfingrige Hand des Präsidenten Feisler, die sich öffnete und schloß, der Verteidiger von Anna mit dem Finger in der Nase, der kleine Buckel Heffke, wie er fliegen lernen wollte, Anna, die mit roten Backen «Siebenundachtzig» sagte, und deren Augen dabei eine so heitere Überlegenheit bezeigt hatten, wie er sie nie an
    ihr gesehen, und viele andere Bilder noch, viele - andere -Bilder
    - noch -
    Sein Kopf preßte sich fester gegen seine Hände, er war so müde, er mußte schlafen, nur fünf Minuten ...
    So legte er einen Arm auf den Tisch und den Kopf darauf. Er atmete behaglich. Nur fünf Minuten fester Schlaf, eine kleine Spanne Vergessen.
    Aber er schreckte wieder hoch. Es war da etwas in diesem Saale, das ihm die ersehnte Ruhe zerstörte. Er sah mit weit aufgerissenen Augen umher, und sein Blick fiel auf den Kammergerichtsrat a. D. Fromm, der am Geländer des Zuhörerraums stand und ihm Zeichen zu machen schien.
    Quangel hatte den alten Herrn schon vorher gesehen, wie überhaupt nichts seiner regen Aufmerksamkeit entgangen zu sein schien, aber bei den vielen erregenden Eindrücken dieses Tages hatte er nicht viel Notiz von dem früheren Hausgenossen aus der Jablonskistraße genommen.
    Jetzt also stand der Rat an der Barriere und machte ihm Zeichen.
    Quangel warf einen Blick auf die beiden Schupos. Sie standen etwa drei Schritte von ihm entfernt, keiner sah ihn an, und sie waren in ein sehr lebhaftes Gespräch vertieft.
    Quangel hörte gerade die Worte: «Und da faß ick den Bruder int Jenick ...»
    Der Werkmeister war aufgestanden, hatte die Hosen fest mit beiden Händen gepackt und ging nun Schritt um Schritt durch die ganze Länge auf den Kammergerichtsrat zu.
    Der stand an der Barre, den Blick hielt er jetzt gesenkt, als wolle er den herannahenden Gefangenen nicht sehen.
    Dann - Quangel war nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt - drehte sich der Kammergerichtsrat rasch um, ging zwischen den Stuhlreihen hindurch und auf die Ausgangstür zu. Aber, von ihm zurückgelassen, lag ein kleines weißes Päckchen, nicht einmal so groß wie ein Garnröllchen, auf dem Geländer.
    Quangel machte die letzten Schritte, faßte zu und barg das Röllchen zuerst in der hohlen Hand, dann in der Hosentasche. Es hatte sich fest angefühlt. Er drehte sich um und sah, daß seine beiden Bewacher noch immer nicht seine Abwesenheit bemerkt hatten. Dann klappte eine Tür im Zuschauerraum, und der Kammergerichtsrat war fort.
    Quangel begann seine Wanderung zurück zu seinem Platz. Er war ziemlich erregt, sein Herz klopfte, es schien unwahrscheinlich, daß dieses

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