Jeder stirbt für sich allein
Kriminalkommissar Rusch schnell.
«Geld? Zu was denn Geld? Die haben doch alle Geld genug! Zu was soll ich denen noch Geld schicken?»
Sie nickt ernst. Ihre Kinder leben alle in guten Verhältnissen. Die könnten noch ohne Mühe die Eltern ernähren.
Plötzlich fällt ihr etwas ein, was sie unbedingt diesen Herren noch sagen muß. «Es ist meine Schuld», sagt sie unbeholfen mit schwerer Zunge, die immer schwerer zu sprechen, zu lallen anfängt, «es ist allein meine Schuld.
Siegfried wollte längst aus Deutschland fort. Aber ich sagte ihm: Ich habe ihn überredet, sonst wären wir längst weg!»
«Und wo haben Sie Ihr Geld gelassen?» fragt der Kommissar, ein wenig ungeduldiger.
«Das Geld?» Sie versucht, sich zu besinnen. Es war ja wirklich noch etwas dagewesen. Wo war es nur hingekommen? Aber das scharfe Nachdenken macht ihr Mühe, dafür fällt ihr etwas anderes ein. Sie hält das Saphirarmband dem Kommissar hin. «Da!» sagt sie einfach. «Da!»
Der Kommissar Rusch wirft einen raschen Blick darauf, dann sieht er sich nach seinen beiden Begleitern um, diesem zackigen HJ-Führer, und nach seinem ständigen Ge-folgsmann, dem Friedrich, einem dicken Klotz, anzusehen wie ein Scharfrichtergehilfe. Er sieht, daß die beiden ihn gespannt beobachten. So stößt er die Hand mit dem Armband ungeduldig beiseite, er packt die schwere Frau bei den Schultern und beutelt sie ordentlich durch. «Wachen Sie jetzt endlich auf, Frau Rosenthal!» schreit er. «Ich befehle es Ihnen! Sie sollen aufwachen!»
Dann läßt er sie los: Ihr Kopf fällt hinten gegen die Sofalehne, der Körper sackt in sich zusammen - ihre Zunge lallt etwas Unverständliches. Dieses Mittel, sie wach zu machen, scheint nicht ganz richtig gewesen zu sein. Eine Weile betrachten die drei schweigend die alte Frau, wie sie da zusammengesunken hockt, das Bewußtsein scheint
nicht in sie zurückzukehren.
Der Kommissar flüstert plötzlich ganz leise: «Nimm sie dir mal mit, da hinten in die Küche, und sieh, daß du sie wach kriegst!»
Der Henkersknecht Friedrich nickt nur. Er nimmt die schwere Frau wie ein Kind auf den Arm und steigt vorsichtig mit ihr über die am Boden liegenden Hindernisse fort.
Als er an der Tür ist, ruft der Kommissar noch: «Sieh, daß sie ruhig bleibt! Ich will keinen Krach haben am Sonntagmorgen in einem Mietshause! Sonst machen wir es in der PrinzAlbrecht-Straße. Ich nehme sie sowieso dahin mit.»
Die Tür klappt hinter den beiden, der Kommissar und der HJ-Führer sind allein.
Kommissar Rusch steht am Fenster und sieht auf die Straße. «Ruhige Straße das», sagt er. «Richtiger Kinderspielplatz, wie?»
Baldur Persicke bestätigt, daß die Jablonskistraße eine ruhige Straße ist.
Der Kommissar ist ein bißchen nervös, nicht etwa wegen
der Sache, die der Friedrich da mit der alten Jüdin in der Küche anstellt. I wo, solche Sachen und tollere noch entsprechen seinem Wesen. Rusch ist ein verkrachter Jurist, der den Weg zur Kriminalpolizei fand. Die gab ihn später an die Gestapo ab. Er tut gerne seinen Dienst. Er würde jeder Regierung gerne jeden Dienst getan haben, aber die zackigen Methoden dieser Regierung gefallen ihm besonders. «Bloß keine Gefühlsduselei», sagt er manchmal zu einem Neuling. «Wir erfüllen unsere Pflicht nur dann, wenn wir unser Ziel erreichen. Der Weg dahin ist ganz egal.»
Nein, wegen der ollen Jüdin macht sich der Kommissar nicht die geringsten Gedanken, er ist wirklich frei von jeder Gefühlsduselei.
Aber dieser Junge, der HJ-Führer Persicke, paßt ihm nicht recht in den Kram. Er hat Außenseiter nicht gerne bei so was, man weiß nie genau, wie sie's aufnehmen.
Freilich, dieser scheint die richtige Sorte, aber genau weiß man es immer erst nachher.
«Haben Sie gesehen, Herr Kommissar», fragt Baldur Persicke eifrig - er will jetzt einfach nicht mehr nach der Küche hinhorchen, das ist deren Sache! «Haben Sie gesehen, sie trug keinen Judenstern?» «Ich habe noch mehr gesehen», sagt der Kommissar nachdenklich, «ich habe zum Beispiel gesehen, daß die Frau saubere Schuhe anhatte, und draußen ist Dreckwetter.»
«Ja», bestätigt Baldur Persicke, noch verständnislos.
«Also muß sie einer hier im Hause versteckt gehalten haben, seit Mittwoch, wenn sie wirklich so lange nicht in der Wohnung war, wie Sie sagen.»
«Ich bin fast
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