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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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legt sich angekleidet auf das Bett, zieht die Decke nur leicht über sich. Still auf dem Rücken liegend, die Augen zur Decke gerichtet, wartet sie auf den Schlaf.
    Und er scheint wirklich zu kommen. Die quälenden Gedanken, die immer gleichen Schreckbilder, die von der Angst in ihrem Hirn geboren werden, sie verschwimmen.
    Sie schließt die Augen, ihre Glieder entspannen sich, werden schlaff, sie hat sich schon fast hinübergerettet in ihren Schlaf .
    Da ist es, als hätte sie auf der Schwelle zu diesem Schlaf eine Hand zurückgestoßen ins Wachen. Sie ist förmlich zusammengeschreckt, solch einen Ruck hat es ihr gegeben. Ihr Körper ist zusammengezuckt wie in einem plötzlichen Krampf .
    Und wieder liegt sie, die Decke anstarrend, auf dem Rücken, die ewig gleiche Mühle dreht die ewig gleichen Qualgedanken und Angstbilder in ihr. Dann - allmählich
    - wird das schwächer, die Augen schließen sich, der Schlaf ist nahe. Und wieder auf seiner Schwelle der Stoß, der Ruck, der Krampf, der ihren ganzen Körper zusammenzieht. Wieder ist sie vertrieben aus der Ruhe, dem Frieden, dem Vergessen .
    Als sich das drei-oder viermal wiederholt hat, gibt sie es auf, den Schlaf zu erwarten. Sie steht auf, geht langsam, ein wenig taumelig, mit hängenden Gliedern an den Tisch und setzt sich. Sie starrt vor sich hin. Sie erkennt in dem Weißen, das vor ihr liegt, den Brief an Siegfried, den sie vor drei Tagen begann, der nicht über die ersten Zeilen hinauskam. Sie sieht weiter: sie erkennt die Scheine, die Schmucksachen. Dort hinten steht auch das Tablett mit dem ihr bestimmten Essen. Sonst hat sie sich morgens völlig ausgehungert darübergestürzt, jetzt mustert sie es mit gleichgültigem Blick. Sie mag nicht essen ...
    Während sie dort so sitzt, ist ihr dunkel bewußt, daß die Schlafmittel doch eine Veränderung in ihr hervorgerufen haben: wenn sie ihr auch keinen Schlummer schenken konnten, so haben sie ihr doch die jagende Unruhe des Morgens genommen. Sie sitzt nur so da, manchmal ist sie auch im Sessel beinahe eingenickt, dann fährt sie wieder hoch. Einige Zeit ist vergangen, ob viel oder wenig, das weiß sie nicht, aber einige Zeit von diesem Schreckenstag ist doch wohl fort ...
    Dann, später, hört sie einen Schritt auf der Treppe. Sie fährt zusammen - in einem Augenblick der Selbstbeobachtung sucht sie sich darüber klarzuwerden, ob sie von diesem Zimmer aus überhaupt hören kann, wenn jemand auf der Treppe geht. Aber diese kritische Minute ist schon wieder vorbei, und sie lauscht nur angespannt auf den Schritt im Treppenhaus, den Schritt eines Menschen, der sich mühsam treppauf schleppt, immer wieder innehaltend, dann, nach einem Hüsteln, sich wieder am Treppengeländer hochziehend.
    Jetzt hört sie nicht nur, jetzt sieht sie auch. Sie sieht Siegfried ganz deutlich, wie er sich da durch das noch stille Treppenhaus in ihre Wohnung hinaufschleicht. Sie haben ihn natürlich wieder mißhandelt, um seinen Kopf liegen ein paar hastig geschlungene Binden, die schon wieder durchblutet sind, und sein Gesicht ist wund und fleckig von ihren Faustschlägen. So schleppt sich Siegfried müh-selig die Treppen hinauf. In seiner Brust krächzt und or-gelt es, in
    dieser Brust, die von ihren Fußtritten verletzt ist. Sie sieht Siegfried um den Treppenabsatz herum ent-schwinden ...
    Eine Weile sitzt sie noch so da. Bestimmt denkt sie an gar nichts, auch nicht an den Kammergerichtsrat und das mit ihm Vereinbarte. Sondern sie muß da oben in die Wohnung - was soll Siegfried denken, wenn er sie leer findet? - Aber sie ist so schrecklich müde, und es ist fast unmöglich, aus dem Sessel hochzukommen!
    Dann steht sie doch wieder da. Sie nimmt das Schlüsselbund aus der Handtasche, greift nach dem Saphirarmband, als sei es ein Talisman, der sie beschützen kann -
    und langsam und taumelig geht sie aus der Wohnung. Die Tür fällt hinter ihr zu.
    Der nach langem Bedenken von seiner Bedienerin doch endlich geweckte Kammergerichtsrat kommt zu spät, um seinen Gast von diesem Ausflug in eine zu gefährliche Welt abzuhalten.
    Der Rat steht einen Augenblick in der leise wieder geöffneten Tür, er lauscht nach oben, er lauscht nach unten.
    Er hört nichts. Dann, als er doch etwas hört, nämlich den raschen, energischen Schritt von Stiefeln, zieht er sich wieder in seine Wohnung zurück. Aber er verläßt den
    Ausguck an der Tür nicht. Sollte es doch noch eine Möglichkeit geben, diese Unselige zu retten, er wird ihr doch noch einmal trotz

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