Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
in das Boot. Er deutete mit dem Kopf auf die Flaschen.
»Schade um das Wasser. Mary Beth hat keines. Sie braucht bestimmt welches. Aber ich kann ihr etwas aus dem Weiher bei der Hütte holen.« Dann watete er in den Fluss und packte die Seitenwand des Bootes.
»Helfen Sie mir«, sagte er.
»Wir müssen es umkippen.«
»Versenken wir es etwa?«
»Nein. Wir drehen's bloß um. Wir packen die Flaschen drunter. Damit es treibt.«
»Umgekehrt?«
»Klar.« Sachs begriff, was Garrett im Sinn hatte. Er wollte, dass sie unter das Boot krochen und sich an der Brücke vorbei treiben ließen. Von oben dürfte der dunkle, tief im Wasser liegende Rumpf so gut wie nicht zu sehen sein. Sobald sie die Brücke passiert hatten, konnten sie das Boot wieder aufrichten und die restliche Strecke bis zu Mary Beths Versteck rudern. Er öffnete die Kühlbox und holte eine Plastiktüte heraus.
»Da können wir die Sachen reinpacken, die nicht nass werden sollen.« Er steckte sein Buch, Die Welt im Kleinen, hinein. Sachs legte ihre Brieftasche und den Revolver dazu. Dann steckte sie ihr T-Shirt in die Jeans und schob die Tüte vorn in ihr Hemd.
»Können Sie mir die Handschellen abnehmen?«, fragte Garrett. Er hielt ihr die Hände hin. Sie zögerte.
»Ich will nicht ertrinken«, sagte er und schaute sie mit flehendem Blick an. Ich hab Angst. Er soll aufhören!
»Ich stell nichts an. Ich versprech's.« Widerwillig fischte Sachs den Schlüssel aus ihrer Hosentasche und löste die Handschellen. Die Weapemeoc, ein Indianerstamm, der einst in dem Gebiet lebte, das dem heutigen North Carolina entspricht, gehörten sprachlich zum Volk der Algonquin und waren mit den Powhatan, den Cho-wan und den Pamlico verwandt, die im mittleren Abschnitt der Atlantikküste der Vereinigten Staaten siedelten. Sie waren ausgezeichnete Bauern und wurden von anderen amerikanischen Ureinwohnern ihrer Fischfangkünste wegen beneidet. Sie waren überaus friedfertig und hatten wenig für Waffen übrig. Vor dreihundert Jahren schrieb der britische Wissenschaftler Thomas Harriot:
»Bei den Waffen, welche sie besitzen, handelt es sich um Zierbogen, die aus dem Holz der Zaubernuss gefertigt sind, und Pfeile aus Schilfrohr. Zu ihrer Verteidigung tragen sie nichts als Schilde aus Borke und mitunter einen Harnisch aus Stöcken, welche mit Fäden verflochten sind.« Doch die britischen Kolonisten schafften es, ein kriegerisches Volk aus ihnen zu machen, indem sie ihnen mit dem Zorn Gottes drohten, wenn sie sich nicht augenblicklich zum Christentum bekehren ließen, die Grippe und die Windpocken einschleppten, die große Teile der Bevölkerung dahinrafften, Nahrungsmittel und Unterkunft von ihnen forderten, weil sie zu faul waren, selbst dafür zu sorgen, und mit Wingina einen der beliebtesten Häuptlinge des Stammes töteten, weil er nach Überzeugung der Kolonisten ein Irrtum, wie sich herausstellte - einen Angriff auf die britische Siedlung plante. Statt Jesus Christus als Herrn und Heiland in ihre Herzen zu schließen, schworen die Indianer zur Entrüstung der Kolonisten ihren eigenen Gottheiten - Geistern, die sie Manitous nannten -die Treue und erklärten den Briten den Krieg, den sie (jedenfalls laut der historischen Erkenntnisse der jungen Mary Beth McConnell) mit dem Überfall auf die Kolonie von Roanoke eröffneten. Nachdem die Siedler geflohen waren, betrachteten die Stammesmitglieder - die mit britischen Verstärkungen rechneten - das Kriegshandwerk mit neuen Augen und benutzten Kupfer, das bisher nur für Zierrat verwendet worden war, zur Herstellung von Waffen. Pfeilspitzen aus Metall sind viel schärfer als die aus Feuerstein gefertigten und zudem leichter herzustellen. Doch ein Pfeil, der mit einem einfachen Holzbogen abgeschossen wird, dringt normalerweise - und ganz im Gegensatz zu den Bildern, die man im Kino sieht -, nicht allzutief ein und ist nur selten tödlich. Wollten die Krieger der Weapemeoc einen verwundeten Gegner erledigen, so verpassten sie ihm den Gnadenstreich - einen Schlag auf den Kopf, ausgeführt mit Streitkolben, die der Stamm mit viel Geschick herzustellen lernte. Ein Streitkolben ist nichts weiter als ein großer, abgerundeter Stein, der in das gespaltene Ende eines Stockes gesteckt und mittels eines Lederriemens befestigt wird. Er ist eine überaus wirkungsvolle Waffe, und der, den Mary Beth auf Grund ihrer archäologischen Kenntnisse vom Brauchtum der amerikanischen Ureinwohner anfertigte, war mit Sicherheit ebenso tödlich wie
Weitere Kostenlose Bücher