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Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc

Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc

Titel: Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: mulder43
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fragte sie sich. Garrett hätte es auf Anhieb gewusst. Er war das reinste Lexikon. Dann fiel ihr etwas ein: Irgendwann kommt der Augenblick, da ein Kind auf einem bestimmten Gebiet mehr weiß als seine Eltern. Es musste etwas Wunderbares sein, erhebend, wenn einem bewusst wurde, dass man dieses Wesen erzeugt hatte, das einen nun übertrumpfte. Aber auch beschämend. Eine Erfahrung, die sie nun nie mehr machen würde. Wieder einmal musste sie an ihren Vater denken. Er hatte Straftaten verhindert. Hatte in all den fahren im Dienst niemals von der Schusswaffe Gebrauch gemacht. So stolz er auf seine Tochter gewesen war - ihre Begeisterung für Schusswaffen hatte ihm stets Sorgen gemacht.
    »Schieß als Letztes«, hatte er sie oft ermahnt. Ach, Jesse... Was soll ich dir denn sagen? Nichts natürlich. Kein Wort. Du bist tot. Sie meinte einen Schatten draußen vor dem Gefängnisfenster zu sehen. Doch sie achtete nicht darauf, befasste sich wieder mit Rhyme. Du und ich, dachte sie. Du und ich. Und sie entsann sich, wie sie vor ein paar Monaten gemeinsam auf dem wuchtigen Clinitron-Bett in seinem Stadthaus in Manhattan gelegen und sich Baz Luhrmans stilvolle Inszenierung von Romeo und Julia angesehen hatten, eine moderne, in Miami angesiedelte Version. Wenn man mit Rhyme zusammen war, setzte man sich ständig mit dem Tod auseinander, und als sie sich die letzten Szenen des Films angeschaut hatte, war Amelia Sachs klar geworden, dass es ihr und Rhyme genauso erging wie den Personen in Shakespeares Drama - auch ihre Liebe stand in gewisser Weise unter einem Unstern. Und ein weiterer Gedanke war ihr durch den Kopf gegangen - dass sie beide gemeinsam sterben würden. Sie hatte sich nicht getraut, Lincoln Rhyme, den Verstandesmenschen, der keinen Funken Sentimentalität im Leib hatte, diese Gedanken mitzuteilen. Aber die Vorstellung hatte sie seither nicht mehr losgelassen, und aus irgendeinem Grund war sie ihr ein großer Trost. Doch jetzt konnte sie sich nicht einmal mehr an diesem absonderlichen Gedanken aufrichten. Nein, jetzt - und das hatte sie sich selbst eingebrockt waren sie im Leben ebenso voneinander getrennt wie im Tod. Sie Die Tür zum Zellentrakt wurde aufgerissen, und ein junger Deputy kam herein. Sie kannte ihn. Es war Steve Farr, Jim Beils Schwager.
    »Hallo«, rief er. Sachs nickte. Dann fiel ihr zweierlei auf. Erstens, dass er eine Rolex trug, für die ein gewöhnlicher Polizist in North Carolina normalerweise ein halbes Jahresgehalt hinlegen musste. Und zweitens hatte er seine Dienstwaffe umgeschnallt und die Holsterklappe nicht geschlossen. Trotz des Schildes draußen an der Tür zum Haftbereich: VOR BETRETEN DES ZELLENTRAKTS SÄMTLICHE WAFFEN INS SCHLIESSFACH LEGEN .
    »Wie geht's Ihnen?«, fragte Farr. Sie schaute ihn an, zeigte keinerlei Regung.
    »Ihnen hat's heute wohl die Sprache verschlagen, was? Tja, Miss, ich hab eine gute Nachricht für Sie. Sie sind frei, Sie kommen raus.« Er zupfte an einem seiner abstehenden Ohren.
    »Frei? Raus?« Er zückte seine Schlüssel.
    »Ja. Die sind zu dem Schluss gekommen, dass sich der Schuss unabsichtlich gelöst hat. Sie können gehen.« Sie musterte seine Miene. Er wandte den Blick ab.
    »Wo ist die entsprechende Verfügung?«
    »Was für eine Verfügung?«, fragte Farr.
    »Ohne eine von der Staatsanwaltschaft unterzeichnete Verfügung, wonach das Verfahren eingestellt ist, darf niemand, dem eine Straftat zur Last gelegt wird, aus der Haft entlassen werden.« Farr schloss die Zellentür auf und trat zurück. Hatte die Hand über dem Revolvergriff.
    »Ach, so halten Sie das vielleicht in der Großstadt. Hier bei uns geht's viel lockerer zu. Ich weiß, was man uns nachsagt - dass wir im Süden ein bisschen langsamer sind. Aber das stimmt nicht, eigentlich sind wir praktischer.« Sachs blieb sitzen.
    »Darf ich fragen, wieso Sie im Zellentrakt Ihre Waffe tragen?«
    »Ach, die da?« Er tippte an seine Waffe.
    »Wir nehmen das nicht so hundertprozentig genau. Nun kommen Sie schon. Sie können gehen. Normalerweise sind die Leute nicht mehr zu halten, wenn sie so was hören.« Er deutete mit dem Kopf zur Rückseite des Gefängnisses.
    »Durch die Hintertür?«, fragte sie.
    »Klar.«
    »Sie dürfen einem flüchtenden Häftling nicht in den Rücken schießen. Das ist Mord.« Er nickte gelassen. Wie hatten sie es arrangiert?, fragte sie sich. Stand draußen jemand anderer bereit, der sie erschießen sollte? Vermutlich. Farr zieht sich die eigene Waffe über den Schädel und

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