Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
Ned Spoto, der mit blassen Augen unruhig die Umgebung absuchte, bildete die Nachhut. Fünf Minuten später verließen sie das Dickicht und stießen auf einen ausgetretenen Pfad. Jesse winkte sie weiter, nach rechts - in Richtung Osten.
»Ist das der Pfad?«, fragte Sachs Lucy.
»Der, den er Ihrer Meinung nach genommen hat?«
»Genau«, entgegnete Lucy.
»Sie hatten Recht«, sagte Sachs leise, nur für ihre Ohren bestimmt.
»Aber wir mussten trotzdem warten.«
»Nein, Sie mussten zeigen, wer das Sagen hat«, erwiderte Lucy schroff. Völlig richtig, dachte Sachs.
»Aber jetzt wissen wir, dass möglicherweise eine Bombe auf dem Weg liegt«, fügte sie hinzu.
»Das haben wir vorher nicht gewusst.«
»Ich hätte sowieso auf Fallen geachtet.« Lucy verstummte und folgte weiter dem Pfad, die Augen auf den Boden gerichtet, als wollte sie beweisen, dass sie tatsächlich darauf geachtet hätte. Nach zehn Minuten kamen sie zum Stone Creek, einem mit milchig schäumendem Abwasser verseuchten Bach. Am Ufer entdeckten sie zweierlei Fußspuren - Abdrücke von Laufschuhen, zierlich, aber tief, vermutlich von einer korpulenten Frau hinterlassen. Zweifellos von Lydia. Und die Abdrücke von bloßen Männerfüßen. Garrett hatte offenbar den anderen Schuh weggeworfen.
»Wir überqueren ihn hier«, sagte Jesse.
»Ich kenn den Kiefernwald, den Mr. Rhyme erwähnt hat. Das hier ist der kürzeste Weg dorthin.« Sachs ging auf den Wasserlauf zu.
»Stopp!«, rief Jesse plötzlich. Sie erstarrte, griff zum Revolver, ging in die Hocke.
»Was ist los?«, fragte sie. Lucy und Ned, die auf ihre Reaktion hin laut los-kicherten, saßen auf Felsbrocken und zogen Schuhe und Socken aus.
»Wenn Ihre Socken nass werden und Sie weiterlaufen«, sagte Lucy,
»brauchen Sie, bevor Sie noch hundert Meter weit gekommen sind, eine ganze Packung Pflaster. Vor lauter Blasen.«
»Sie verstehen nicht viel vom Wandern, was?«, fragte Ned die Polizistin. Jesse Corn lachte gereizt auf.
»Weil sie in der Großstadt lebt, Ned. Ich geh auch nicht davon aus, dass du dich mit U-Bahnen und Wolkenkratzern auskennst.« Sachs, die sich weder um die Rüge noch um die ritterliche Fürsprache scherte, zog ihre halbhohen Stiefel und die schwarzen Socken aus und krempelte ihre Jeans hoch. Sie wateten durch die Strömung. Das Wasser war eiskalt und fühlte sich wunderbar an. Sie bedauerte es regelrecht, als der kurze Marsch durch den Bach vorüber war. Auf der anderen Seite warteten sie ein paar Minuten, bis ihre Füße trocken waren, und zogen dann wieder Socken und Schuhe an. Dann suchten sie das Ufer ab, bis sie erneut auf die Fußspuren stießen. Der Trupp folgte der Fährte in den Wald, doch als der Boden trockener und das Unterholz immer undurchdringlicher wurde, verloren sie die Spur.
»Zu den Kiefern geht's in die Richtung«, sagte Jesse. Er deutete nach Nordosten.
»Höchstwahrscheinlich sind sie geradeaus da durch.« Sie hielten sich in etwa an diese Vorgabe, während sie weitere zwanzig Minuten marschierten, einer hinter dem anderen, und den Boden nach Stolperdrähten absuchten. Dann machten die Eichen, die Stechpalmen und das Riedgras Wacholder und Schierlingsgewächsen Platz. Etwa eine Viertelmeile vor ihnen zeichnete sich der breite Saum eines riesigen Kiefernwaldes ab. Aber nirgendwo war mehr eine Spur des Kidnappers und seines Opfers zu sehen - keinerlei Hinweis darauf, wo sie in den Wald eingedrungen waren.
»Viel zu groß«, murmelte Lucy.
»Wie sollen wir da drin die Fährte finden?«
»Schwärmen wir aus«, schlug Ned vor. Auch er blickte betroffen auf die dichte Vegetation vor ihnen.
»Wenn er hier eine Bombe gelegt hat, wird sie verflixt schwer zu finden sein.« Sie wollten sich gerade verteilen, als Sachs den Kopf hob.
»Moment. Bleibt hier«, befahl sie und bahnte sich langsam einen Weg durch das Unterholz, die Augen zu Boden gerichtet, Ausschau nach Fallen haltend. Nur fünfzehn Meter weiter, zwischen einstmals blühenden Bäumen, die jetzt kahl und von modernden Blütenblättern umgeben waren, entdeckte sie in der staubigen Erde Lydias und Garretts Fußspur. Sie zog sich zu einem Pfad hin, der in den Wald führte.
»Hier lang sind sie gegangen!«, rief sie.
»Haltet euch an meine Fußabdrücke. Ich habe auf Fallen geachtet.« Kurz darauf stießen die drei Deputys zu ihr.
»Wie haben Sie die gefunden?«, fragte der verknallte Jesse Corn.
»Wonach riecht es hier?«, entgegnete sie.
»Nach Stinktier«, sagte Ned.
»Garrett hatte
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