Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
gewesen. Zwei großartige Stunden hatten sie miteinander verbracht. Sie kam zu dem Schluss, dass ihr Schutzengel ihr diese Erinnerung geschickt hatte, zum Zeichen, dass es auch dann noch Hoffnung gab, wenn man überhaupt nicht mehr damit rechnete. Lydia klammerte sich an diesen Gedanken, rappelte sich mühsam auf und lief durch das Schilf und das Sumpfgras. Ganz in der Nähe hörte sie einen heiseren Laut. Ein dumpfes Grollen. Sie wusste, dass es hier, nördlich des Paquo, Luchse gab. Bären und wilde Schweine ebenfalls. Doch obwohl ihr selbst beim Humpeln jeder Schritt wehtat, marschierte sie zuversichtlich Richtung Pfad, so als wäre sie im Dienst, machte ihre Runden, verteilte Tabletten, gab den neuesten Klatsch weiter und heiterte die ihr anvertrauten Patienten auf. Jesse Corn fand einen Sack.
»Hier! Schaut her. Ich hab da was. Einen Körnersack.« Sachs stieg den felsigen Hang am Rand des Steinbruchs zu der Stelle hinab, wo der Deputy stand und auf etwas deutete, das auf einem flachen, beim Sprengen stehen gebliebenen Kalksteinsims stand. Sie konnte die Spuren der Bohrer erkennen, mit denen man die Löcher für das Dynamit in das stumpfe Gestein getrieben hatte. Kein Wunder, dass Rhyme so viel Nitrat gefunden hatte -das hier war der reinste Sprengplatz. Sie ging zu Jesse. Er stand vor einem alten Rupfensack.
»Rhyme, kannst du mich hören?«, rief Sachs in ihr Telefon.
»Schieß los. Es rauscht und knistert etwas, aber ich kann dich gerade noch verstehen.«
»Wir haben hier einen Sack«, berichtete sie ihm. Dann wandte sie sich an Jesse.
»Wie haben Sie ihn genannt?«
»Körnersack. Man kann auch Getreidesack dazu sagen.«
»Ein alter Getreidesack«, erklärte sie Rhyme.
»Sieht so aus, als ob da irgendwas drin ist.«
»Hat Garrett ihn zurückgelassen?«, fragte Rhyme. Sie musterte den Boden. Bis zu der Stelle, wo die Felswand aufragte.
»Das sind eindeutig Garretts und Lydias Fußabdrücke. Sie führen einen Hang hinauf, zum Rand des Steinbruchs.«
»Nichts wie hinterher«, sagte Jesse.
»Noch nicht«, sagte Sachs.
»Wir müssen den Sack untersuchen.«
»Beschreibe ihn«, befahl Rhyme.
»Sackleinen. Alt. Etwa einen halben mal einen Meter groß. Viel ist da nicht drin. Er ist zu. Nicht zugebunden, bloß zusammengedreht.«
»Öffne ihn vorsichtig, denk an die Fallen.« Sachs zog einen Zipfel herunter, spähte hinein.
»Alles klar, Rhyme.« Lucy und Ned kamen den Pfad herunter, worauf sie alle vier um den Sack standen, als handelte es sich um den Leichnam eines Ertrunkenen, den man aus dem Steinbruch gezogen hatte.
»Was ist drin?« Sachs zog ihre Latexhandschuhe an, die wegen der Sonne sehr weich waren. Sofort fingen ihre Hände an zu schwitzen und vor Hitze zu kribbeln.
»Leere Wasserflaschen. Marke Deer Park. Keinerlei Preisschilder oder Warenaufkleber. Zwei leere Packungen Planters-Cracker mit Erdnussbutter und Käse. Ebenfalls ohne jeden Aufkleber. Willst du die Strichcode-Ziffer wissen, um festzustellen, wann und wohin sie ausgeliefert wurden?«
»Wenn wir eine Woche Zeit hätten, vielleicht«, grummelte Rhyme.
»Nein, schenk es dir. Mehr Einzelheiten über den Sack«, befahl er.
»Ein kleiner Aufdruck ist drauf. Aber er ist zu verblichen, als dass man ihn lesen könnte. Kann den irgendwer erkennen?«, fragte sie die anderen. Niemand konnte die Buchstaben lesen.
»Irgendeine Ahnung, was ursprünglich drin war?«, fragte Rhyme. Sie hob den Sack auf und roch daran.
»Muffig. MUSS ziemlich lange irgendwo rumgelegen haben. Kann nicht feststellen, was drin war.« Sachs kehrte den Sack um und schlug mit der flachen Hand darauf. Ein paar alte, verschrumpelte Maiskörner fielen heraus.
»Mais, Rhyme.«
»Gibt's dort in der Gegend irgendwelche Farmen?«, fragte Rhyme. Sachs gab die Frage an die anderen Mitglieder des Suchtrupps weiter.
»Milchwirtschaft ja, Maisanbau nicht«, sagte Lucy und schaute zu Ned und Jesse, die nur nickten.
»Aber Milchkühe werden mit Mais gefüttert«, sagte Jesse.
»Klar«, sagte Ned.
»Vermutlich stammt er von irgendeiner Futtermittelund Saatguthandlung. Oder einem Lagerhaus.«
»Hast du gehört, Rhyme?«
»Futtermittel und Saatgut. Richtig. Ich setze Ben und Jim Bell darauf an. Sonst noch was, Sachs?« Sie blickte auf ihre Hände. Sie waren schwarz. Sie drehte den Sack um.
»Sieht so aus, als ob ein Brandfleck an dem Sack ist. Er ist nicht versengt, aber er stand irgendwo, wo es gebrannt hat.«
»Irgendeine Ahnung, was das gewesen sein
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