Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
und wir schaffen ihn vor Einbruch der Dunkelheit fort. Und übrigens, Cal, was ich Ihnen noch sagen wollte: McGuire plädiert auf Mord.« Als Sachs in die Bezirksverwaltung kam, benahm sich Rhyme so unleidlich, wie sie erwartet hatte.
»Komm schon, Sachs, hilf dem armen Ben mit den Geräten, und danach brechen wir auf. Ich habe Dr. Weaver erklärt, dass ich noch dieses Jahr in die Klinik komme.« Doch sie stand nur am Fenster und schaute hinaus.
»Rhyme«, sagte sie schließlich. Der Kriminalist blickte auf, kniff die Augen zusammen und musterte sie so, wie er eine Spur betrachtete, die er nicht identifizieren konnte.
»Das gefällt mir nicht, Sachs.«
»Was?«
»Es gefällt mir überhaupt nicht. Nein, Ben, Sie müssen die Armatur abnehmen, bevor Sie es einpacken.«
»Armatur?« Ben mühte sich mit dem sperrigen Polilight ab, einer alternativen Lichtquelle, mit der Substanzen sichtbar gemacht werden, die sich mit bloßem Auge nicht erkennen lassen.
»Den Stab«, erklärte Sachs und übernahm das Verpacken des Geräts.
»Danke.« Ben fing an, die Computerkabel aufzurollen.
»Dein Gesichtsausdruck, Sachs. Der gefällt mir nicht. Dein Gesichtsausdruck und dein Tonfall.«
»Ben«, sagte sie,
»könnten Sie uns ein paar Minuten allein lassen?«
»Nein, kann er nicht«, blaffte Rhyme.
»Wir haben keine Zeit. Wir müssen die Sachen einpacken, und dann nichts wie weg.«
»Fünf Minuten«, sagte sie. Ben sah von Rhyme zu Sachs, und weil Sachs ihn mit flehendem Blick ansah, nicht etwa wütend, machte sie das Rennen, und der Hüne ging hinaus. Rhyme versuchte ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen.
»Sachs, wir haben alles getan, was wir konnten. Wir haben Lydia gerettet. Wir haben den Täter gefasst. Er wird auf das Angebot der Staatsanwaltschaft eingehen und verraten, wo Mary Beth ist.«
»Er wird nicht verraten, wo sie steckt.«
»Aber das ist nicht unsere Sache. Wir können nicht mehr -«
»Ich glaube nicht, dass er's getan hat.«
»Mary Beth umgebracht? Ganz meine Meinung. Die Blutspuren deuten darauf hin, dass sie vermutlich noch lebt, aber -«
»Ich meine, dass er Billy nicht umgebracht hat.« Rhyme warf den Kopf zurück, um eine widerspenstige Haarsträhne, die ihn zur Raserei trieb, aus der Stirn zu schleudern.
»Glaubst du etwa die Geschichte von dem Mann mit der braunen Latzhose, die Jim erwähnt hat?«
»Ja.«
»Sachs, er ist ein schwieriger Junge, und er tut dir Leid. Mir tut er auch Leid. Aber -«
»Damit hat das überhaupt nichts zu tun.«
»Da hast du ganz Recht«, versetzte er.
»Das Einzige, worauf es ankommt, sind die Spuren. Und die Spuren zeigen, dass es den Mann mit Latzhose nicht gibt und dass Garrett schuldig ist.«
»Die Spuren deuten daraufhin, dass er schuldig ist, Rhyme. Sie beweisen es nicht. Spuren kann man ganz unterschiedlich auslegen. Außerdem habe ich meinerseits ebenfalls Hinweise.«
»Zum Beispiel?«
»Er hat mich darum gebeten, dass ich mich um seine Insekten kümmere.«
»Und?«
»Kommt dir das nicht ein bisschen komisch vor, dass sich ein l kaltblütiger Mörder darum schert, was aus irgendwelchen gottverfluchten Insekten wird?«
»Das ist kein Hinweis, Sachs. Das ist seine Taktik. Psychologische Kriegsführung, mit der er uns weich kochen will. Denk daran, der Junge ist schlau. Hoher IQ, gute Noten. Und schau dir seine Lektüre an, ziemlich abgehobenes Zeug - er hat von den Insekten eine Menge gelernt. Und die zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie keine Moral kennen, denen geht es nur ums Überleben. Das sind die Lektionen, die er gelernt hat. Das hat ihn von Kindesbeinen an geprägt. So traurig es ist, aber es ist nicht unsere Angelegenheit.«
»Du weißt doch, diese Falle, die Grube mit den Kiefernzweigen.« Rhyme nickte.
»Sie war nur einen halben Meter tief. Und das Hornissennest drinnen war leer. Verlassen. Und die Ammoniakflasche war so aufgestellt, dass niemand zu Schaden kommen konnte. Die war bloß dazu da, um ihn zu warnen, wenn sich ein Suchtrupp der Mühle näherte.«
»Das sind keine stichhaltigen Beweise, Sachs. Wie das blutige Taschentuch zum Beispiel.«
»Er hat gesagt, er hat masturbiert. Und dass sich Mary Beth den Kopf angeschlagen hat und er das Blut abgewischt hat. Und überhaupt - wenn er sie vergewaltigt hat, wozu braucht er dann ein Taschentuch?«
»Um sich hinterher abzuwischen.«
»Das kommt aber in den mir bekannten Fallanalysen von Vergewaltigungen nie vor.« Rhyme zitierte sich selbst - aus dem Vorwort seines
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