Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
hatte vorhin das Gefühl - das du irgendwas auf dem Herzen hast, aber nicht recht raus willst damit.« Sachs war es ebenfalls aufgefallen. Der Junge wirkte bedrückt, war aber zugleich auch fasziniert von dem Rollenspiel. Was ging ihm durch den Kopf? Offensichtlich wollte er irgendetwas loswerden. Aber was? Garrett musterte seine langen, schmutzigen Fingernägel.
»Na ja, schon möglich, dass ich noch was zu sagen hab.«
»Raus damit.«
»Das... das ist gar nicht so leicht.« Cal Fredericks beugte sich vor, zückte Stift und Notizblock.
»Stell es dir vor... da sitzt Mary Beth«, sagte Dr. Penny leise.
»Sie wartet. Sie will, dass du es aussprichst.«
»Wirklich?«, fragte Garrett.
»Glauben Sie das wirklich?«
»Ja«, versicherte ihm der Psychologe.
»Möchtest du ihr vielleicht sagen, wo sie sich befindet? Wohin du sie gebracht hast? Wie es dort ist? Vielleicht möchtest du ihr erklären, weshalb du sie gerade dorthin gebracht hast?«
»Nein«, erwiderte Garrett.
»Dazu möchte ich überhaupt nichts sagen.«
»Was möchtest du dann sagen?«
»Ich -« Er brach ab. Schnipste mit den Fingernägeln.
»Ich weiß, dass es schwer ist.« Sachs saß mittlerweile ebenfalls vornübergebeugt da. Komm schon, dachte sie, komm schon, Garrett. Wir wollen dir doch bloß helfen. Komm uns ein Stück entgegen. Ruhig, fast beschwörend fuhr Dr. Penny fort:
»Nur zu, Garrett. Mary Beth sitzt vor dir, auf diesem Stuhl. Sie wartet. Sie will wissen, was du ihr sagen willst. Rede mit ihr.« Der Psychologe schob Garrett eine Dose Cola hin, worauf er ein paar Schlucke trank. Scheppernd schlugen die Handfesseln an das Blech, als er sie mit beiden Händen ergriff. Dr. Penny geduldete sich einen Moment.
»Was möchtest du ihr wirklich sagen?«, fuhr er dann fort.
»Worauf kommt es dir wirklich an? Ich sehe doch, dass du irgendwas loswerden willst. Ich weiß, dass du ihr was sagen willst. Und ich glaube, sie muss es erfahren.« Der Psychologe rückte den leeren Stuhl näher heran.
»Da ist sie, Garrett. Sie sitzt unmittelbar vor dir, schaut dich an. Was willst du ihr sagen? Erzähl ihr alles, was du dich bisher nicht zu sagen getraut hast. Jetzt hast du die Gelegenheit dazu. Nur zu.« Wieder trank Garrett einen Schluck Cola. Sachs bemerkte, dass seine Hände zitterten. Was kommt jetzt?, fragte sie sich. Was will er sagen? Die beiden Männer schraken jählings auf, als Garrett sich plötzlich zu dem leeren Stuhl vorbeugte und loslegte.
»Ich mag dich sehr, Mary Beth, wirklich sehr. Und... und ich glaube, ich liebe dich.« Er atmete tief durch, schnipste ein paar Mal mit den Fingernägeln, hielt sich an den Armlehnen seines Stuhls fest, lief feuerrot an und senkte den Kopf.
»Ist das alles, was du sagen wolltest?«, fragte der Psychologe. Garrett nickte.
»Sonst noch was?«
»Ähm, nein.« Diesmal wandte sich der Psychologe an den Anwalt, warf ihm einen kurzen Blick zu und schüttelte den Kopf.
»Mister«, setzte Garrett an.
»Ich meine, Doktor... Ich hab da eine Frage.«
»Nur zu, Garrett.«
»Okay - ich hab bei mir daheim ein Buch, das ich gern hätte. Die Welt im Kleinen heißt es. Könnte ich das vielleicht kriegen?«
»Mal sehen, was sich machen lässt«, sagte der Psychologe. Er schaute an Garrett vorbei zu Fredericks, der enttäuscht die Augen verdrehte. Die beiden Männer erhoben sich, schlüpften in ihre Sakkos.
»Das war's vorerst, Garrett.« Der Junge nickte. Sachs stand rasch auf und ging hinaus in den Vorraum. Der De-puty am Empfang hatte nicht mitbekommen, dass sie gelauscht hatte. Fredericks und der Psychologe kamen aus dem Vernehmungsraum. Kurz darauf wurde Garrett wieder in seine Zelle geführt. Jim Bell kam hereingestürmt, und Fredericks stellte ihm Dr. Penny vor.
»Irgendwas rausgekriegt?«, fragte der Sheriff. Fredericks schüttelte den Kopf.
»Nicht das Geringste.«
»Ich komm gerade vom Gericht«, sagte Bell grimmig.
»Heute Abend um sechs ist Haftprüfungstermin, und danach geht's rüber nach Lancaster.«
»Heute Abend?«, sagte Sachs.
»Wir sollten ihn lieber fortschaffen. Hier in der Gegend gibt's ein paar Leute, die die Sache gern selber in die Hand nehmen möchten.«
»Ich kann's ja später noch mal versuchen«, sagte Dr. Penny.
»Momentan ist er ziemlich erregt.«
»Klar ist der erregt«, versetzte Bell.
»Wir haben ihn wegen Mord und Entführung festgenommen. Da war ich auch erregt. Von mir aus können Sie in Lancaster machen, was Sie wollen, aber McGuire erhebt Anklage gegen ihn,
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