Jeier, Thomas
treibenden Indianer arbeiteten wesentlich effizienter als die meisten weißen Siedler, die große Schwierigkeiten hatten, sich an das neue Land und die ungewohnten klimatischen Bedingungen zu gewöhnen. Der Vorteil der Indianer lag vor allem in ihrer Denkweise. Die meisten Stämme kannten keinen oder wenig persönlichen Besitz, sodass die Ernte Eigentum des gesamten Dorfes war. Die Verteilung erfolgte nach am Gemeinwohl orientierten Prinzipien, besonders ältere und notleidende Menschen durften sich über üppige Zuwendungen freuen. Eine Ausnahme bildeten die Anasazi und Moundbuilders, bei denen allein die Priester bestimmten, wer etwas von der Ernte bekam. Beeinflusst durch die mesoamerikanischen Hochkulturen waren es vornehmlich die Priester selbst, die von einer Ernte profitierten. In den meisten indianischen Gemeinschaften arbeiteten die Frauen und Mädchen auf den Feldern und waren, verglichen mit weißen Farmern späterer Jahrhunderte, außerordentlich produktiv. Zu den angebauten Gemüsesorten gehörten für Europa unbekannte Feldfrüchte, darunter Kartoffeln, Süßkartoffeln, Tomaten, Mais, Bohnen, Flaschenkürbis und Erdnüsse. Insgesamt kultivierten sie über dreihundert verschiedene Sorten.
Ausbeutung der Natur
Das Klischee von den naturliebenden Indianern, welches von modernen Umweltschützern gern als Vorbild für ökologisch bewusste Menschen herangezogen wird, findet sich oftmals dort widerlegt, wo der Bedarf die natürlichen Vorkommen überstieg. Beispiele dafür lassen sich bereits vor Ankunft der Weißen finden. Um eine möglichst große Zahl von Verwandten mit Nahrung versorgen zu können, waren die Mahican oder Mohican gezwungen, mehr Fische zu fangen, um die Angehörigen ihrer starken Clans versorgen zu können, als für den Bestand der Fische auf Dauer zuträglich war.
Einen ausreichenden Wildbestand sicherte privater Besitz bei den Naskapi an der Hudson Bay, die ihre Jagdgründe von einer Generation zur nächsten vererbten und die Grenzen des Gebietes respektierten. Die Anthropologen Frank Speck und Wendell Hadlock berichten: »Als Regel galt, dass ein Jäger, der in einem bestimmten Gebiet dem Wild nachstellte, durch keinen anderen Jäger gestört wurde. Einige Männer besaßen Distrikte, in denen schon ihre Väter und Großväter gejagt hatten. Ähnlich hielten es die Algonkin und die Paiute und einige Apachen-Stämme im Südwesten. Ihre Jagdgründe waren durch natürliche Barrieren wie Berge und Flüsse gegeneinander abgegrenzt.
Haida und Tlingit im pazifischen Nordwesten handelten, im heutigen Wortsinne, umweltbewusst. Ihre Hauptnahrungsquelle waren die Lachse, die auf ihren Laichzügen aus dem Meer zurückkehrten und die Flüsse hinaufwanderten, um dort ihre Eier abzulegen. Mit Fischrädern, Wehren und Netzen holten sie die Fische aus dem Fluss. Mit diesen Hilfsmitteln wäre es ihnen ein Leichtes gewesen, die Fischbestände entscheidend zu dezimieren. In dem Bewusstsein, mit einem solchen Vorgehen die Versorgung zukünftiger Generationen zu gefährden, ließen sie jedoch einen Teil der Fische entkommen.
Die weißen Siedler am Columbia River gingen rücksichtsloser vor, überfischten die Gewässer, bis der Lachsbestand ernsthaft gefährdet war, und die Regierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Fischen mit Netzen unter strenge Strafe stellte. Das Paradoxe dieses Verbotes war, dass viele Lachsfischer auf den Ozean auswichen, die Lachse später auch mit modernen Hilfsmitteln wie Radar und GPS aufspürten und den Fischbestand heute auf noch viel dramatischere Weise beeinflussen.
Wenn Indianer in vergangenen Jahrhunderten aus heutiger Sicht »umweltbewusst« handelten, dann meist aus praktischen Erwägungen. Ethische Motive spielten dabei nur eine untergeordnete Rolle. Vielerorts half ihnen die Fähigkeit, sich einer veränderten Umgebung anzupassen und ihr Gesellschaftssystem den Anforderungen der Gemeinschaft unterzuordnen, sich mit der Natur zu arrangieren und ihre Früchte zu ernten, ohne sie nachhaltig zu schädigen.
Diese Prämissen haben in den Reservaten an Bedeutung verloren. Die Berufung auf Tradition und angestammte Ansprüche bescherte Indianern Sonderrechte, die es ihnen erlauben, auch außerhalb der Schonzeit zu jagen und zu fischen. Anders als die Haida und Tlingit, die nur so viel Lachs fingen, wie ein Dorf zum Leben brauchte, nutzen heute viele Indianer die ihnen gewährten Rechte rücksichtslos aus. Im Nordwesten fangen sie Lachse und Forellen, auch für kommerzielle
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