Jeier, Thomas
Eroberungszüge der spanischen Conquistadores im späteren Mexiko gemacht hatte, findet sich diese Haltung. Er schrieb die Eingeborenen seien Menschen, »die niemals lügen können.« In seinem Essay Über die Kannibalen (1580) nahm der französische Philosoph Michel de Montaigne die Menschenfresser vor der europäischen Zivilisation in Schutz und behauptete, die Europäer würden sich viel barbarischer benehmen, wenn sie die Menschen, die sich gegen ihre Religion wenden, bei lebendigem Leib verbrennen: »Man sieht das als barbarisch an, was man nicht gewöhnt ist.«Doch auch in Zeiten der Aufklärung finden sich immer wieder Hinweise auf den Mythos vom »edlen Wilden«
So zu lesen in der romantischen Schwärmerei eines Jean-Jacques Rousseau, der die Zivilisation mit ihrem Neid und ihrer Selbstsucht für das Grundübel alles Schlechten hielt und in einigen seiner zwischen 1750 und 1768 erschienenen Werke ein Zurück zur Natur forderte. Auch der Literat James Fenimore Cooper verherrlichte die Indianer in seinen Lederstrumpf-Romanen, schuf mit Chingachgook den Prototyp des edlen Wilden und mit dem heldenhaften Wildtäter Natty »Hawkeye« Bumppo sein weißes Ebenbild: einen zivilisierten Waldläufer, der im Zusammenleben mit der unverdorbenen roten Rasse und inmitten einer unberührten Natur zu einem besseren Menschen wird. In Deutschland erfand Karl May Ende des 19. Jahrhunderts eine eigene Version des indianischen Heldenepos, wobei allerdings sein deutschstämmiger Old Shatterhand dem indianischen Edelmenschen Winnetou stets überlegen blieb, ein eher teutonischer Aspekt, der zum paternalistischen Gedankengut in Zeiten des Kolonialismus passte. Vor allem europäische Maler wie Karl Bodmer, Albert Bierstadt und später auch W. H. D. Koemer verklärten den nordamerikanischen Kontinent mit seinen Bewohnern zu einer mythischen Landschaft, die nur wenig mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Und nachdem man in Hollywood jahrzehntelang (mit wenigen Ausnahmen) den barbarischen Wilden als Gegner der braven Siedler und Cowboys missbraucht hatte, idealisiert man Indianer noch heute bei ihren wenigen Auftritten wie zuletzt in Dances with Wolves (Der mit dem Wolf tanzt), dem wohl authentischsten aller Indianerfilme, der, die Indianer aufs Neue als Edelmenschen ohne Fehl und Tadel zeigt.
Doch die Indianer waren nicht jene überhöhten Wesen, die Weltverbesserer so gern in ihnen sehen, und die Vielzahl von Büchern, die sich mit Medizinrädern, Traumfängern und dubiosen Orakeln beschäftigen, wird ihrer komplexen Vorstellungswelt nicht gerecht. Ein Zerrbild, an dem auch Indianer schuld sind, die sich aus kommerziellen Interessen an dem Markt beteiligen und sogar die Teilnahme an heiligen Ritualen wie dem Sonnentanz anbieten - ein Sakrileg, das kein ernsthafter spiritueller Führer begehen würde. Indianer betrachteten sich als Teil der Natur, eine Weitsicht, die beinahe jedem Naturvolk zu eigen ist, aber ihre Ehrfurcht vor der Welt, in der sie lebten, war kein erhabener Charakterzug, sondern gründete in der bloßen Angst, die Sonne könnte sich für immer hinter den Bergen verstecken oder eine Naturkatastrophe könnte ihre Welt von heute auf morgen zerstören. Nur mit täglichen Gebeten, Ritualen und Opfergaben sollten die Naturgeister beschwichtigt werden.
Unberührte Natur - ein Mythos
Dennoch hinterließen die Indianer, wie alle anderen Menschen auf der Welt auch Spuren im Naturreich des präkolumbianischen Amerika. Der Historiker Louis S. Warren von der University of California schreibt: »Zu behaupten, die Indianer hätten die Natur nicht beeinflusst, wäre gleichbedeutend mit der Behauptung, sie hätten gelebt, ohne etwas zu berühren oder sie wären ein Volk ohne Geschichte gewesen. Indianer manipulierten ihre Umgebung, und während sie die Natur weniger beeinflussten als die europäischen Kolonisten, wäre ihnen der Gedanke, die Wildnis in ihrem Urzustand zu bewahren, doch unpraktisch und absurd vorgekommen. Die Indianer veränderten das Ökosystem, in dem sie lebten, nachhaltiger, als man annimmt.«
Auch William M. Denevan von der University of Wisconsin wendet sich seit vielen Jahren gegen die Vorstellung das präkolumbianische Amerika sei unberührte Natur gewesen: »Für die Behauptung, das Amerika des frühen 16. Jahrhunderts sei ein von Menschen verändertes Land gewesen, gab es eindeutige Beweise. Die Bevölkerung war zahlreich. Der Waldbestand hatte sich verändert, Grasland war entstanden, Wild war
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