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Jemand Anders

Jemand Anders

Titel: Jemand Anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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neue Einspielungen dieses einen, zwischen fünf Minuten fünfzehn und fünf Minuten fünfundzwanzig Sekunden langen Stücks, je nachdem, ob ein Karajan es dirigierte oder ein Daniel Barenboim.
    Ganz leise hat er die Lautstärke an seinem MP3-Player eingestellt, doch dank der perfekten Passform der tief in den Gehörgang gedrückten Knöpfe dringt kein Ton von außen zu ihm durch. Die Konservenmusik im Studio überlässt er gerne den geölten Sardinen. Er blickt hinüber zur Bar. Die Kleine hat sich ihm jetzt halb zugewandt und grinst, als sie seinen Blick bemerkt. Arm, denkt er, erbärmlich. Musst dir ein Lächeln abringen, obwohl du mich vermutlich ebenso wenig leiden kannst wie ich dich. Arme kleine Nutte! Erinnerst mich an irgendwen, aber eh kein Wunder: Eine Visage sieht hier aus wie die andere; allesamt überschminkte Larven, die einen dümmlich anglotzen. Am Ende seid ihr doch nichts als Nutten, die darauf warten, dass einer sie abholt, rausholt aus ihrer Auslage. Dafür wird in trendige Klamotten und teures Make-up investiert, um den Kunden mit einem sexy Wimpernklimpern die Energydrinks servieren zu können. Na ja, letztlich ist ein jeder seines Glückes Schmied.
    Er grinst und führt seine Hände an die kalte Stange.
    Die ideale Position innerhalb des geraffelten Bereichs zu finden, ist zentral. Er hat sich angewöhnt, die Langhantel ein wenig weiter außen zu umfassen, als Furat ihm gezeigt hat. So passt es besser für ihn, wegen seiner langen Arme. Einhundert Kilo, denkt er, okay, euer Tag ist gekommen!
    Es hat gedauert, bis er Adeles Drängen nachgab und sich im Studio einschreiben ließ. Einer Laune folgend, beileibe nicht ihretwegen. Sie hatte ohnehin gleich wieder aufgehört, kaum dass er anfing. Weil sie den Karren als hoffnungslos verfahren betrachtete, mit Mann und Maus abgesoffen im Morast ihrer Ehe? Wie auch immer, das gemeinsame Herumhüpfen würde ihre Beziehung auch nicht mehr retten. Dachte er, dass sie dachte. Ihm war es nur recht gewesen. Schlimm genug, wenn einem Wildfremde beim Schnaufen und Schwitzen zusehen – was, bitte, soll es bringen, wenn die eigene Frau diesem Ausscheidungsvorgang beiwohnt? Sie, die dir im Bett schon längst nicht mehr beiwohnt . Die durch ihr Wegdrehen allabendlich zu erkennen gibt, wie unappetitlich sie alles an dir findet, wie ekelhaft …
    Er schiebt die Gedanken beiseite und stößt ein Grunzen aus. Das ungewohnte Gewicht verlangt ihm alles ab. Sauber hochführen, erinnert er sich, und ausatmen, und pressen. Die Lichtreflexion auf der Stange ist noch stärker geworden, er spürt, wie seine Oberarme zu zittern beginnen. Er lässt die Langhantel wieder in die Halterung zurücksinken. Lauter als zuvor rauscht die klassische Musik durch seine Gehörgänge. Seine Schläfen pochen. Die Kleine drüben hält lächelnd den Eiweißshake in die Höhe, als wolle sie ihm zuprosten damit, dann verschwindet sie aus seinem Blickfeld. Meine Belohnung, denkt er, heute werde ich sie mir verdienen. Habe mir immer alles verdient in meinem Leben, nichts wird einem geschenkt, ohne Fleiß kein Preis. Eine kleine Pause, dann krallen sich seine Finger erneut um die Stange. Von unten sieht es aus, als würde sie sich krümmen, wie ein mächtiger Bogen, der gespannt wird. Welch ein Unsinn, rügt er sich, es gibt Typen hier, die drücken das doppelte Gewicht, und nie hat sich die stählerne Stange gekrümmt. Seine Unterlippe schmerzt, so fest beißen seine Schneidezähne darauf. Nicht verkrampfen, verkrampfen bringt gar nichts, das hat man ihnen immer wieder eingeschärft! Und fünf Kilo mehr können doch nicht so einen Unterschied ausmachen. Fünf lächerliche Kilo mehr. Im Augenwinkel nimmt er einen Schatten wahr, der sich über ihn beugt.
    Mit einem Schlag ist die Musik wie weggeblasen. Ein unbändiges Brennen, dann wird alles weich und leicht.
    Siehst du, es geht doch, frohlockt eine Stimme in ihm. Du hast gewusst, dass du es schaffst!
    Von tief drinnen hört er ein garstiges Geräusch. Ein Knacken, das anschwillt zu einem unbändigen Lärm.
    Passt überhaupt nicht zu Air, kann er noch denken, ehe er das Bewusstsein verliert.

27. Februar 2010
    Als die Landschaft draußen rollender wird, buckliger, gerade so wie die Gegend, in die mich, ziemlich genau neun Monate nach einem Dorffeuerwehrball, Mama vor über sechs Jahrzehnten hineingeworfen hat, streift mich so etwas wie ein Hauch von Heimat. Aber ich lasse mich davon nicht beeindrucken. Oder verleugne ich jetzt nur wieder etwas, wie

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