Jemand Anders

und keine schweren Maschinen, um ähnlich beschissen zu enden wie die beiden Asphaltcowboys; sie sind auf einer staubigen Überlandstraße des mittleren Westens zerschellt – ich auf einer Via Dolorosa, die doch mein Königsweg hätte werden sollen.
    Komm, werd’ nicht sentimental … Ein neues Leben erwartet auch dich!
    Der erfolgreichste Ticker, den wir jemals auf unserer Studio-Homepage hatten. Regina führt eine Liste, auf der sie alle Komplimente zu ihrem famosen Werbespruch einträgt. Ein anderer oder eine andere zu werden, das kommt an. Sogar im New-Life-Blog wird der Text des Langen und Breiten diskutiert, wie alles, was trendy ist. Wie alle Arten von Lösungen . Das Wort Lösung wird auf unserer Website mit Abstand am häufigsten verwendet. Metabolic Screening zählt ebenso dazu wie der Slim-Belly-Bauchspeckkiller oder Slim Back & Legs, der Zellulitiskiller. Lösungen werden ferner angeboten für die heikle Frage, welches Outfit für welchen der diversen Kurse angesagt ist. Man kann doch für Spinning und Aerobic unmöglich dieselben Klamotten tragen! Mitunter wird einem im Blog sogar – wenn auch leicht verschlüsselt – verraten, wie man am besten an die kleinen Helferlein rankommt, die das Muskelwachstum so überirdisch ankurbeln. Last, not least der endlose Beziehungstratsch, das ewige Wer-wann-wo-mit-wem-Spiel. Unglaublich, womit die Leute ihre Zeit verplempern. Aber Regina kann sich darüber freuen wie ein kleines Kind. Für sie ist jede Art von Feedback willkommen, was sage ich: zentral . Der nichtigste Furz.
    „Du hast gar keine Ahnung“, versichert sie mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit, „wie zentral Feedback ist. Kundenbindung, Edgar, Corporate Identity! Wie, glaubst du, hätten wir das letzte Jahr sonst überstanden, trotz der neuen Geräte?“
    Was heißt trotz ? Eben darum, genau wegen deiner sauteuren Anschaffungen, sind wir ja erst finanziell ins Schleudern geraten! Doch ich spreche es nicht aus. Hebe nur die Handflächen in die Höhe. Wie ein Priester, oder wie ein Soldat, der sich ergibt: Pax, Friede. Ich will ja nicht mit ihr streiten; will ihr die Freude, das Engagement nicht rauben.
    Ihr Schmollmund zeigt mir, dass meine Demutsgeste sie erst recht ärgert.
    Weil diese Geste nicht aufrichtig demütig ist?
    Und wieso kommt mir dabei der Rex in den Sinn?
    *
    Ich würde jetzt gerne eine Zigarette rauchen. Aber das ist mittlerweile selbst in Regionalzügen verboten. Im Krankenhaus und in der Rehaklinik sowieso.
    Mit dem Rauchen habe ich beinahe so spät angefangen wie mit dem Sex. Ich bin eben in vielerlei Hinsicht ein Spätberufener. Nur die eine Berufung, die schon mit achtzehn in mir brannte und die ich für die einzig wahre hielt, ist längst passé …
    Was man von den Kopfschmerzen nicht sagen kann! Ich hätte mich besser doch abholen lassen sollen. Aber vielleicht hilft ja ein bisschen Chopin oder Mozart. Wo habe ich nur das neue Handy hingesteckt? So etwas Smartes hat bestimmt auch ein Radio eingebaut.
    Ich finde es dort, wo ich ganz sicher noch nie ein Handy verstaut habe: in der Brusttasche meines Sakkos. Verblöde ich langsam? Ich drücke den grünen Knopf, tippe auf dem Display herum. Meine Finger finden sich wie von selber zurecht, dabei habe ich das Ding noch nie verwendet. Intuitive Benutzeroberfläche, so nennt man das wohl. Oder das Gerät funktioniert schlicht und einfach ähnlich wie das vorige, das beim Unfall verloren ging. Von seinen zig Funktionen hatte ich nur wenige genutzt, mit Radio und Sprachaufnahme war ich immerhin vertraut. Ich stecke die Kopfhörer an, die gleichzeitig als Antenne dienen. Ein gutes Dutzend UKW-Sender stöbert der Suchlauf auf, durchwegs Dosenmusik, die meinem angeschlagenen Hirn nicht zuzumuten ist. Eine sonore Männerstimme hebt sich angenehm vom allgegenwärtigen Gequassel der Musiksender ab: das Ö1-Mittagsjournal. Schön, dann lasse ich mich eben von den Nachrichten berieseln, in den letzten Wochen habe ich ohnehin kaum etwas mitgekriegt vom Weltgeschehen. Fernseher und Zeitungen waren für SHT-Patienten nicht vorgesehen.
    Der Prozess der Gedächtnislücken, verkündet der Moderator . Ich drücke auf den Lautstärkeregler. Gedächtnislücken – das klingt irgendwie vertraut …
    Die Rede ist von der neuesten Runde im Gerichtsverfahren gegen den mutmaßlichen NS-Schergen John Demjanjuk.
    Demjanjuk ist angeklagt, im Sommer 1943 als Wachmann in Sobibor beim Mord an 27.900 Juden geholfen zu haben. Er hatte bislang bestritten, je