Jemand Anders
das Bett verlassen. Wir wollen den Zug nehmen, irgendwo hinaus aufs Land.
Eine Volksschulklasse wartet neben uns auf dem Bahnsteig. Welch ein Gewusel! Die Stimme der überforderten Lehrerin: wie das dünne, spitze Pfeifen einer Maus.
Aus dem Lautsprecher die Durchsage: Achtung, durchfahrender Zug … Die Kinder kümmert es nicht. Sie tollen herum, als wären sie auf dem Schulhof. Die Lehrerin pfeift weiter ihre hilflosen Ermahnungen. Ich sehe einen Buben, wie er lachend losstürmt auf einen anderen. Dieser, ebenfalls lachend, weicht zurück.
Der Schnellzug reißt ihn mit sich.
Ein zartes, klein gewachsenes Bürschchen. Genau wie der Peter Klein, oder der Niederl Wolfgang. Das Seicherl. Längst weiß ich, was Seicherl wirklich bedeutet, ich habe es nachgeschlagen in Onkel Gerhards Mundartwörterbuch: kleines Sieb zum Abseihen. Übertragen für unentschlossener Mensch.
In meiner Vorstellung bin ich jetzt wieder auf jenem Bahnsteig, keine drei Meter entfernt von der Rempelei. Immer noch taumelt der Bub, hilflos, schon halb in der Luft. Gleich wird er von der Bahnsteigkante stürzen. Nur ein Sprung, ein wahnwitziger Sprung, könnte ihn retten ...
Womöglich.
Doch die Chancen stehen schlecht. Man ist nicht mehr der Jüngste, war nie ein Sportler wie ehedem Pater Klaus. Und kein Glaube, der einem Flügel verliehe. Kein Schutzengel weit und breit, zu dem man ein Stoßgebet schicken könnte. Kein Wunder, auf das zu hoffen wäre.
Wenn der liebe Gott tot ist, gibt es keine Gnade.
Aber vielleicht gilt es auch noch nach Gottes Tod, das alte franziskanische Motto:
Herr, gib mir die Kraft, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, die Gelassenheit, das Unabänderliche zu ertragen, und die Weisheit, zwischen diesen beiden Dingen die rechte Unterscheidung zu treffen.
Wenn schon kein gottgefälliges Leben mehr, dann halt ein menschengefälliges.
Also spring, Mensch!
Spring!
Ich danke
Pater Egwin Raffl, Anton Kriegler,
Hans Poiger, Walter Widder, Manfred Scheel,
Birgit Waldenberger und meiner Frau Sibylle
für Anregungen, Kritik und Unterstützung.
Die Arbeit an diesem Buch erfolgte zum Gutteil im Atelier des Landes Oberösterreich in Český Krumlov / Krumau. Herzlichen Dank auch hiefür.
Zum Autor
Franz Kabelka, geboren 1954 in Linz, lebt und arbeitet in Feldkirch. Er studierte Germanistik und Anglistik in Salzburg und veröffentlicht seit 1975 Lyrik, Kurzprosa, Essays sowie Theaterstücke in Literaturzeitschriften, Zeitungen und Anthologien. Bisher erschienen: schneller als instant coffee. Gedichte (1996), auszeit. Reflexe & reflexionen (2005). Bei Haymon die Tone-Hagen-Trilogie: Heimkehr. Kriminalroman (2004), Letzte Herberge. Kriminalroman (2006), Dünne Haut. Kriminalroman (2008) sowie Jemand anders. Kriminalroman (2011). www.franzkabelka.weebly.com
Impressum
© 2011
HAYMO N verlag
Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
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ISBN 978-3-85218-707-5
Umschlag- und Buchgestaltung, Satz: hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol
Coverfoto: Haymon Verlag/Rebecca Dörner
Diesen Kriminalroman erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung (Hardcover mit Schutzumschlag) in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at .
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