Jene Nacht im Fruehling
ihren Füßen standen.
Vor dem Regal mit den Science-fiction-Titeln, das sich unmittelbar neben den Kriminalromanen befand, stand ein großgewachsener, gut gekleideter Mann, der so tat, als bemerkte er nicht, was sie da neben ihm tat. Nun hatte Samantha aber in der Zeit, die sie in dieser Stadt lebte, bereits die Erfahrung gemacht, daß die New Yorker zwar gern den blasierten Kosmopoliten herauskehrten, der alles gesehen hatte und dem man nichts mehr vormachen könne, während sie in Wahrheit geradezu süchtig waren auf Neuigkeiten. Stets auf der Suche nach etwas, das man ihnen bisher noch nicht geboten hatte, achteten sie immer auf ihre Nachbarn und alles, was gerade in ihrer Umgebung geschah. Ein New Yorker war, wie Samantha fand, in das Ungewöhnliche geradezu vernarrt, nur mußte man sich schon mächtig anstrengen, um dem New Yorker etwas bieten zu können, was er als ungewöhnlich erachtete.
Als dieser Mann nun bemerkte, daß Samantha in fieberhafter Eile ganze Regalbretter abräumte, fragte er: »Ist das ein Leserwettbewerb?« Die Neugierde siegte bei einem New Yorker stets über seine guten Manieren.
»So etwas Ähnliches«, erklärte ihm Samantha. »Ich vertrete hier ein Altenpflegeheim, und ich kann alle Bücher behalten, die ich innerhalb von zwölf Minuten einsacken kann.«
Da leuchtete das Gesicht ihres Nachbarn auf. »Dürfen andere Ihnen dabei helfen?«
»Natürlich«, erwiderte Samantha. Mike hatte ihr nicht gesagt, daß andere ihr dabei nicht helfen dürften.
»Ich könnte für Sie ein paar gute Science-fiction-Titel heraussuchen und meine Frau die Bücher, die auf der Bestseller-Liste stehen.«
Es dauerte keine vier Minuten, bis die gesamte Kundschaft des Ladens wußte, daß hier eine Lady an einem Wettbewerb teilnahm, wollte jeder ihr helfen. Zwei große junge Schwarze mit Rasiermesser-Haarschnitt - einer der beiden hatte ein Z auf der linken Schläfe - fragten, ob auch Magazine unter die Wettbewerbsregeln fielen, und Samantha antwortete: »Ja, alle.« Da machten die beiden ein Gesicht, als hätten sie den Jackpot gewonnen. Sie klatschten in die Hände und liefen zu dem Stand mit den Illustrierten, der eine ganze Wand im Laden einnahm.
Ein Mann, der von zwei Kindern begleitet war, bot sich an, Spiele für sie herauszusuchen, eine Frau wollte ihr bei den Hörspielkassetten behilflich sein, und ein etwas schmuddeliger Typ mit Videos.
Als die zwölf Minuten um waren, bremste Samantha, die Arme voller Frauenromane, vor dem Schalter ab, wo die Waren verpackt wurden und die Angestellten, die das besorgten, hinter den Stapeln und Bergen von Büchern, Magazinen, Spielen und Kassetten gar nicht mehr zu sehen waren. Einen Moment beschlich sie ein mulmiges Gefühl, aber sie war entschlossen, keinen Rückzieher zu machen.
»Wollen Sie das alles mitnehmen?« fragte die Substitutin, die in dieser Abteilung die Aufsicht führte, mit weit aufgerissenen Augen. Als Samantha - nicht zu Mike hinsehend, der den Vorgang ungläubig beobachtete - nickte, sagte die Substitutin, da müsse sie den Manager holen.
Als sich der Manager im Kassenraum einfand, war die gesamte Kundschaft, wovon der Großteil sich aktiv an dem Einkauf beteiligt hatte, um den Kassenschalter versammelt und wartete mit andächtigen Gesichtem auf das Ergebnis des Wettkampfs.
»Ich hoffe, Sie können das auch alles bezahlen«, sagte der Manager im strengen Ton.
Samantha nickte. Als der junge Mann an der Kasse jedoch das oberste Buch vom ersten Stapel nahm und ihn über das elektronische Auge halten wollte, rief Samantha laut: »Warten Sie!«, und alle hielten den Atem an. Würde Samantha jetzt etwa kalte Füße bekommen?
»Wieviel Prozent Rabatt wollen Sie mir dafür geben?« fragte Samantha den Manager.
In diesem Moment brachen die hier anwesenden New Yorker in einen donnernden Applaus aus, weil sie in Samantha eine Eingeborene zu erkennen glaubten. Und nach einer teilweise hitzig geführten Debatte, an der sich mehrere Personen beteiligten, einigte man sich auf einen Nachlaß von zwölfeinhalb Prozent.
Nachdem alles, was sich da auf dem Schalter türmte, von der Kasse registriert und von Mike mit seiner Kreditkarte bezahlt worden war, halfen die Leute Samantha noch, die vielen Tüten auf die Straße hinauszutragen, wo sie in ein Taxi verladen werden sollten. Sie hatten jedoch das Mißgeschick - oder Glück - einen eingeborenen New Yorker Taxichauffeur anzuhalten, der ihnen sagte, er könne nicht dieses ganze Zeug in sein Vehikel
Weitere Kostenlose Bücher