Jene Nacht im Fruehling
einladen. Nun gibt es nichts, was ein New Yorker mehr liebt als eine kontrovers geführte Diskussion. Touristen fingen an, von diesen leibhaftig echten New Yorkern Fotos zu machen, die sich mitten in der Stadt auf dem Bürgersteig stritten. Sie hatten zwar davon gehört, daß so etwas in New York Vorkommen sollte, aber ihre Mütter hatten ihnen beigebracht, daß man sich immer nur in seinen vier Wänden streiten dürfe.
»Ich habe es geschafft«, sagte Samantha zu Mike, als sie schließlich im Taxi unter sich waren. »Unter sich« durfte man in diesem Fall allerdings nur mit Einschränkungen gelten lassen, denn bisher war noch nie ein mit festem Verdeck versehener Personenwagen so mit Waren vollgestopft gewesen wie dieses Taxi. Samantha hatte zwei Einkaufstüten auf dem Schoß, vier unter den Beinen und zwei im Rücken. Eine Judith-McNaught-Kassette lugte aus ihrer Handtasche - sie hatte gedacht, daß sie sich diese erst einmal selbst anhören sollte, bevor sie sie weitergab — und machte sich während der Fahrt ein paarmal schmerzhaft im Bereich ihrer linken Niere bemerkbar. »Exakt in zwölf Minuten ohne eine Sekunde Zeitüberschreitung.«
Mike studierte die endlosen Papierschlangen aus der Registrierkasse. »Zwölf Minuten, um den halben Laden zu plündern und das Zeug zur Kasse zu schleppen, elf Minuten, um im Stil eines ägyptischen Kameltreibers mit dem Manager um den Rabatt zu feilschen, siebzehn Minuten, um mit Hilfe von fünf Angestellten, vier Rollen Papier und drei Registrierkassen den Verkaufspreis zu ermitteln und noch einmal dreizehn Minuten, um die Ware im Taxi zu verladen, wobei mir halb New York Anweisungen gab, wie ich das machen sollte. Ja, Sam, wir liegen genau in der Zeit.«
Sich über ihre zwei Einkaufstüten beugend, die ihren Schoß belasteten, sah sie ihn lächelnd an: »Bist du mir deswegen böse?«
»Nein«, erwiderte er ehrlich und tätschelte ihre Wange. Der gönnerhafte Blick war inzwischen wieder durch den begehrlich-lüsternen ersetzt worden.
Immer noch lächelnd, lehnte sich Samantha gegen die beiden Taschen im Rücken. Es sah nicht so aus, als würde Mike sie als das kleine fügsame Ding betrachten, das ihm das Frühstück ans Bett brachte.
Da die Möbelpacker sich auch nicht an den Zeitplan gehalten hatten, trafen Samantha und Mike nur zwanzig Minuten nach ihnen im Pflegeheim ein. Als sie in Maxies Zimmer kamen, saß diese im Bett und erteilte den schwitzenden robusten jungen Männern Anweisungen, wo sie die Möbel hinstellen sollten, während ein Arzt ein Stethoskop an ihre Brust hielt, um ihren Herzschlag zu überwachen.
»Lady«, sagte einer der jungen Männer zu ihr, »wir haben Sie schon einmal darauf hingewiesen, daß wir nur fürs Möbeltragen, aber nicht für das Aufhängen von Bildern bezahlt werden.«
»Nun, Nana«, sagte Samantha, als sie über die Schwelle trat, »mir scheint, du hast hier alles unter Kontrolle.« Sie küßte Maxie auf die Wange, während der Arzt sein Stethoskop einpackte. Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, begann Samantha ihr zu erzählen, was Mike mit ihrer Wohnung gemacht, wie viele Bücher und Magazine er eingekauft und was er auf dem Weg hierher alles gesagt hatte.
Mike hatte mit dem Arzt das Zimmer verlassen und fragte ihn: »Wie geht es ihr?«
»Den Umständen entsprechend«, erwiderte der Arzt und grinste. »Aber sie ist jetzt glücklich in diesem Heim. Ich wünschte mir, alle meine Patienten hätten zwei so gute Geister wie Sie und die Lady. Aber geben Sie ihr nicht zu viel Schnaps, okay?«
»Heute haben wir Schokolade für sie mitgebracht.«
»Gut«, erwiderte der Arzt und wurde dann ernst. »Ich hoffe, Ihre Frau ist auf Abbys Tod vorbereitet.«
»Ja, Sam ist darauf vorbereitet«, erwiderte Mike ebenso ernst. »Sie hat viel Übung in dieser Hinsicht - sehr viel Übung.«
*
Es war drei Stunden später, daß das Telefon auf dem Nachttisch neben Samanthas großem neuen Vier-Pfosten-Bett zu läuten anfing und Mike den entsprechenden Knopf drückte, als er merkte, daß das Gespräch auf seiner Leitung kam. Nachdem er Samanthas Fußknöchel von seinem Ohr genommen und diesen durch den Hörer ersetzt hatte, sagte Mike: »Hallo?«
»Michael, bist du es?«
»Mama! Tut gut, deine Stimme zu hören. Du klingst so nahe!«
So rasch wie die Tochter eines Pfarrers, die man nackt mit einem Meßknaben in der Sakristei erwischt hatte, löste sich Samantha jetzt von Mike, setzte sich kerzengerade auf und zog die Decke züchtig bis ans Kinn
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