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Jene Nacht im Fruehling

Titel: Jene Nacht im Fruehling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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melancholisch zu stimmen. Er hatte einmal zu ihr gesagt, man könne sie in einen Saal schicken, in dem hundert nette Typen und ein seine Frau verprügelndes Charakterschwein versammelt wären, und sie würde den Schuft binnen einer halben Minute aus der Menge herausfischen. Daphne hatte gelacht und geantwortet, wenn der Kerl tatsächlich ein so böser Finger sei, wie Mike ihn ihr geschildert habe, würde sie ihn binnen dreier Minuten mit in ihre Wohnung nehmen und für seinen Unterhalt sorgen.
    Während Daphne ihre Geschichte erzählte, dachte Mike an Samantha. Vielleicht hatten ihn die Frauen seit Jahren in dem Punkt verwöhnt, daß sie ihn alle gemocht hatten. Vielleicht hatten es ihm die Mädchen zu leicht gemacht, wenn er sie haben wollte. Samantha war eine Herausforderung für ihn. Seit sie nach New York gekommen war, hatte er alles versucht, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Er war ihr »zufällig« ein paar hundertmal in der Küche begegnet. Er war sich nicht zu schade dafür gewesen, ihr Einladungen unter der Tür durchzuschieben. Er hatte ihr gegenüber sogar mehrmals angedeutet, daß er gern den Umgang mit einem Computer lernen würde, aber sie hatte ihn dabei angesehen, als hörte sie das Wort Computer zum erstenmal.
    Er konnte einfach nicht klug aus ihr werden. Da war diese kleine prüde Miss, die um keinen Preis allein mit einem Mann unter dem gleichen Dach wohnen wollte: Und da war dieses heiße Cayenne — Pfeffer — Wesen, das ihn küßte, wie ihn noch keine Frau bisher geküßt hatte. Und in letzter Zeit war da dieser schmuddelige kleine Zombie, der angetan mit den Pyjamas und dem Bademantel seines Vaters in der Küche umherschlich. Er hörte nur noch selten ihre Schritte über sich, und wenn er sie zu Gesicht bekam, dann immer nur gähnend, obwohl sie so aussah, als wäre sie eben erst aufgewacht.
    Mikes Kopf ruckte plötzlich hoch: »Was hast du da eben gesagt?«
    »Ich sagte, ich vermißte ihn so sehr, daß ich nur noch seine Kleider trug. Ich konnte zwar seine Hemden oben nicht zuknöpfen, aber das störte mich nicht. Wichtig war nur, daß ich es überhaupt tragen konnte, weil ich mich ihm dann näher fühlte. Wenn dieser Mann nicht...«
    Mike schoß aus seinem Gartenstuhl hoch. »Was für ein Mann?«
    Daphne sah ihn erschrocken an. »Der Mann im Krankenhaus natürlich. Hast du denn nicht zugehört, als ich sagte, daß ich nur noch schlafen wollte? Ich beschloß, genau das zu tun, nahm eine ganze Flasche voll Pillen ein und wachte dann im Krankenhaus wieder auf. Und dort redete dann dieser Mann mit mir und sagte, ich dürfe meinem Leben kein Ende machen.«
    Mike stand am Tisch und blickte einen Moment auf sie hinunter, aber er sah sie gar nicht, weil er anfing, zu begreifen, was Daphne ihm soeben erzählt hatte. »Samantha hat eine harte Zeit hinter sich, Mike«, hörte er wieder die schwache, bereits vom Tod gezeichnete Stimme Dave am Telefon. »Sie hatte ein schweres Leben, und wenn ich nicht mehr bin, weiß ich nicht, was sie anfangen wird. Ich wünschte, ich würde meine Tochter besser kennen, doch das ist nicht der Fall. Ich weiß nicht, was in ihrem Kopf vorgeht, aber ich möchte diese Welt mit der Gewißheit verlassen, daß sich jemand um sie kümmert. Ich möchte, daß du diese Aufgabe übernimmst, Mike, und ich will wenigstens etwas von dem, was ich ihr angetan habe, wiedergutmachen. Paß du für mich auf sie auf. Ich habe niemanden sonst, den ich darum bitten kann.«
    Mike hatte den Tod seines Onkels Michael miterlebt, aber das war auch schon alles - und es war genug. Er konnte sich wirklich nicht vorstellen, daß ihm noch mehr Todesfälle ins Haus standen oder daß er so viele Anverwandte verlieren würde, wie Samantha sie verloren hatte. Er konnte sich tatsächlich nicht vorstellen, was das für ein Gefühl sein würde, wenn jetzt sein Vater stürbe - oder wenn ihm, wie Samantha, sein letzter und einziger Freund und Verwandter wegstarb.
    Als er zu Samanthas Fenstern hinaufblickte, sah er, daß sie, wie üblich, die Vorhänge zugezogen hatte. Zweifellos schlief sie schon wieder. Oder sie wollte nur noch schlafen, wie Daphne sich ausgedrückt hatte.
    »Du bist ein schlechter Vormund, Taggert«, sagte er leise zu sich und blickte dann wieder auf Daphne hinunter.
    »Möchtest du, daß ich jetzt gehe, Mike?« fragte sie und nahm, ohne erst seine Antwort abzuwarten, ihre Handtasche auf. Als sie an der Haustür angelangt war, drehte sie sich noch einmal um. »Wenn du etwas brauchst, Mikey,

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