Jene Nacht im Fruehling
auch von ihren Streitereien mit ihrer Mutter, während sie davon schwärmte, wie wunderbar doch ihr Vater sei.
Lächelnd erinnerte sich Mike, wie er sich als Kind stets nur mit seinem Vater angelegt hatte. Seine Mutter war immer eine Heilige gewesen, und er konnte heute verstehen, warum seine Schwester zuweilen dagegen aufbegehrt hatte.
Es existierten keine Tagebücher aus der Zeit nach 1975, dem Todesjahr von Samanthas Mutter Allison Elliot.
Am Ende dieses einen Monats war Mike noch ratloser als am Anfang, was er von dem, was er in Elliots Haus entdeckt hatte, eigentlich halten sollte. Zuweilen kam es ihm so vor, als hätte nach dem Tag, an dem Allison starb, für Samantha und ihren Vater die Zeit stillgestanden. Dave erzählte ihm ausschließlich Geschichten aus Samanthas Kindertagen und erwähnte nie, was sie nach ihrem zwölften Lebensjahr gemacht hatte. Für Dave war offenbar die Zeit, als Samantha die Oberschule besucht und an der Universität von Louisville studiert hatte, kein Thema, obwohl seine Tochter damals noch in seinem Haus lebte.
Mike hatte Dave ein paarmal danach gefragt, ihm sehr gezielte Fragen, Samanthas Leben nach dem Tod ihrer Mutter betreffend, gestellt, aber Dave hatte ihm nie eine direkte Antwort darauf gegeben. Er hatte sich stets sehr vage ausgedrückt oder sogar das Thema gewechselt.
Es war Mike gewesen, der darauf bestanden hatte, daß Dave ihm erlauben möge, Samantha von dem wahren Zustand ihres Vaters zu informieren. Mike sagte, es wäre nicht fair Sam gegenüber, wenn sie nicht einmal erfahren dürfe, wie es ihrem eigenen Vater ginge. Schließlich hatte sich Dave damit einverstanden erklärt, jedoch nur unter der Bedingung, daß Mike sie nicht persönlich kennenlernen dürfe. Er hatte Mike erklärt, seinetwegen könne man zwar Samantha von seinem Zustand unterrichten, aber er wünsche nicht, daß Mike sie selbst anrief, und wolle ihn auch nicht mehr im Haus haben, wenn Samantha in Louisville eintreffen würde.
Mike hatte nicht umhingekonnt, sich von Daves Erklärung gekränkt zu fühlen. Es war so, als würde Dave ihn für einen widerlichen Kerl halten - einen zwielichtigen Menschen, nicht gut genug für seine kostbare Tochter. Mike hatte sich jedoch Daves Bedingungen unterworfen. Er hatte einen von Daves Nachbarn gebeten, Samantha anzurufen, war dann zum Flugplatz gefahren und mit der nächsten Maschine nach New York zurückgeflogen.
Zwei Wochen später hatte Dave ihn dann angerufen und ihm mitgeteilt, er würde Samantha zu ihm schicken, damit er auf sie aufpasse, wenn er nicht mehr wäre. Dave hatte sich so angehört, als spräche er von einem Waisenkind - oder einem Expreßpaket, das er nach New York schicken würde.
Widerstrebend hatte sich Mike am Telefon bereit gefunden, Samantha Daves Wohnung zu überlassen. Tatsächlich hatte er sich vor dem Tag gefürchtet, an dem er sich persönlich mit ihr befassen mußte. Seiner Meinung nach mußte Samantha an einer pathologischen Entwicklungsstörung leiden, wenn ihr Klein-Mädchen-Zimmer ein Spiegel ihrer Persönlichkeit gewesen war.
Doch die Frau, die er dann kennenlernte, und das Mädchen, das er erwartet hatte, waren zwei gänzlich verschiedene Wesen. Sie konnte in einer Sekunde heiß und voller Leidenschaft sein - und ihn dann an das Mädchen erinnern, das in ihren Tagebüchern von ihren Streitereien und Eskapaden berichtet hatte -, in der nächsten Sekunde jedoch Angst vor ihrem eigenen Schatten haben, und in der übernächsten kalt und hart sein, sich in ihrer Wohnung einigeln und niemanden an sich heranlassen.
Doch sie war weder kalt noch hart. Sie wehrte sich zwar gegen ihn und schob ihn bei jeder Gelegenheit von sich weg. Zuweilen jedoch blickte sie ihn mit so viel Verlangen und einer solchen Sehnsucht in den Augen an, daß er nicht wußte, ob er nach ihr greifen oder wegrennen sollte.
An dem Tag, als er ihr diese Kleider gekauft hatte, hatte sie ihn mit so dankbaren Augen angesehen, daß es ihm fast peinlich gewesen war. Die meisten Frauen würden sich über diese Kleider gefreut haben, aber Samantha war mehr als glücklich darüber gewesen. Er hatte den Eindruck gehabt, daß es gar nicht so sehr die Kleider waren, die sie entzückt hatten, sondern . .. was? Die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte? Es war fast so, als wäre sie dankbar dafür gewesen, daß jemand ihre Existenz zur Kenntnis nahm. Er war sich nicht ganz sicher, worüber sie sich an jenem Tag so sehr gefreut hatte, aber daß der Tag ihr mehr beschert
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