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Jene Nacht im Fruehling

Titel: Jene Nacht im Fruehling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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Nein, das wollte sie nicht von Mike hören, denn bis jetzt war er ein Freund für sie gewesen. Er hatte sie zuweilen gut behandelt, wenn auch ein bißchen selbstherrlich. Wenn sie ehrlich zu sich war, fand sie seine Eifersucht sogar schmeichelhaft. Mike hatte ihr seine Zeit geopfert. Der Tag, an dem sie gemeinsam zum Einkaufen gegangen waren, war einer der erfreulichsten ihres Lebens gewesen. Er hatte sie zum Lachen gebracht, und zuweilen hatte er sie sogar die vielen Todesfälle vergessen lassen, die sie ihr Leben lang verfolgt hatten.
    Sie war im Begriff, ein Paar Schuhe in ein Säckchen zu stecken, hielt dann aber in der Bewegung inne. Ihr Leben lang würde sie diese Zeit bei Mike im Gedächtnis behalten, sich an die Streitgespräche erinnern, die sie mit ihm geführt hatte, und wie er ständig dafür gesorgt hatte, daß sie vor Wut fast aus der Haut fuhr. Sie würde sich daran erinnern, wie er sie angesehen hatte, wenn er frisch vom Duschen kam, mit noch feuchten Haaren, nacktem Oberkörper und nackten Füßen, nur mit einer Jeans bekleidet. Und sie würde sich an sein Lächeln erinnern, dieses sarkastische Lächeln aus einem Mundwinkel, als könne er gar nicht glauben, daß es etwas gab, worüber er lächeln könne.
    Sie zwängte die Schuhe in den Koffer. Vielleicht würde sie nach Seattle ziehen. In der Nähe des Regenwaldes zu leben, könnte angenehm sein. Nach der Trockenheit, die in Santa Fe geherrscht hatte, konnte ihre Haut durchaus einen Aufenthalt in einem nassen, kühlen Klima vertragen.
    Sie packte das letzte Paar Schuhe ein, schloß den Koffer und stellte ihn auf den Boden. Morgen früh würde sie das Haus verlassen. Was würde sie dann tun? Mit einem Taxi zum Flughafen fahren, zum nächstbesten Schalter gehen und sagen, sie möchte gern ein Ticket für die nächste Maschine, in der noch ein Platz frei sei?
    »Nicht gerade durchdacht, das Ganze, nicht wahr, Sam?« sagte sie laut und lächelte dann darüber, daß sie sich mit Sam angeredet hatte. Drei Monate vor ihrem zwölften Geburtstag war sie sich der Tatsache bewußt geworden, daß sie weiblichen Geschlechts war, und hatte ihrer Familie erklärt, daß sie fortan nicht mehr wie ein Junge angesprochen werden wollte. Sie wünschte, daß man von jetzt an Samantha zu ihr sagte. Ihr Vater und ihr Großvater hatten keine Einwände erhoben, aber ihre Mutter hatte sie ausgelacht und sie über alle Maßen gereizt, weil sie fortfuhr, sie Sam zu rufen. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte niemand sie mehr Sam genannt - jedenfalls nicht, bevor sie Mike kennenlernte.
    Als sie sich im Zimmer umschaute, die Möbel und die Farben ihres Vaters betrachtete, dachte sie zum erstenmal, daß sie vielleicht andere Vorhänge bevorzugen würde. Vielleicht einen rosenfarbenen Damast, und möglicherweise auch eine andere Tagesdecke, die in der Farbe dazu paßte.
    Sie begann, ihre Bluse aufzuknöpfen und ging dann, ihr Nachthemd über dem Arm, ins Bad hinüber, um zu duschen. In ihrer nächsten Wohnung konnte sie mit den Vorhängen und Möbeln machen, was ihr gefiel.
    *
    Es gab keine Vorwarnung. Eben schlief Samantha noch friedlich, und in der nächsten Sekunde legte sich eine Hand um ihre Kehle, und sie kämpfte um ihr Leben. Sie suchte die Hand, die ihr die Atemluft abschnürte, mit ihren Fingernägeln zu zerkratzen, aber selbst dann, als sie spürte, daß ihm das Blut über die Finger lief, ließ der Mann nicht von ihr ab.
    »Wo ist das Geld von Half Hand?« flüsterte der Mann.
    Im Mondlicht, das durch die Balkontür kam, sah sie, daß er sich einen Strumpf über das Gesicht gezogen hatte.
    »Wo ist Half Hands Geld geblieben?« wiederholte der Maskierte, lockerte aber nicht den Griff um ihren Hals, so daß sie ihm eine Antwort darauf geben konnte.
    Samantha versuchte, mit den Beinen nach ihm zu treten, aber er hatte sie auf eine Weise überfallen, daß sie seinen Körper nicht mit den Beinen erreichen konnte. Und da sie keine Luft mehr in die Lungen bekam, ließen auch ihre Kräfte rasch nach. Michael, dachte sie, und dann bot sie das bißchen Kraft, das ihr noch geblieben war, dafür auf, mit den Fersen gegen die Wand zu hämmern. Einmal, zweimal und zum dritten Mal. Dann verlor sie das Bewußtsein, weil der Druck auf ihren Hals sich nicht verminderte.
    Als dann der Druck jählings von ihrem Hals genommen wurde, konnte sie zuerst immer noch nicht atmen. Es war so, als wären Teile ihres Halses zu einer nicht mehr gebrauchsfähigen Masse zerquetscht worden, und als sie den

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