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Jene Nacht im Fruehling

Titel: Jene Nacht im Fruehling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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einzurichten, wie er es gern haben wollte, hatte er Mike ein paar Wochen später angerufen und gesagt, er würde nun doch nicht nach New York kommen. Er wollte Mike am Telefon den Grund seiner Absage nicht mitteilen, aber Mike spürte, daß da etwas nicht stimmte. Also stieg er in das nächste Flugzeug nach Louisville und stand ein paar Stunden später mit seinem Koffer vor Daves Haustür, um von diesem zu erfahren, was, in aller Welt, denn passiert war, daß er seine Pläne geändert hatte. Da war Dave das herausgerutscht, was die Ärzte ihm erst ein paar Tage zuvor offenbart hatten: daß er nämlich unheilbar an Krebs erkrankt sei und nur noch eine kurze Zeit zu leben habe. Mike hatte von ihm verlangt, daß er seine Tochter anrufen und ihr das mitteilen sollte, aber Dave hatte sich geweigert. Samantha, hatte er entgegnet, habe schon genügend Todesfälle in ihrem kurzen Leben über sich ergehen lassen müssen und sollte nicht noch Zeugin eines weiteren werden.
    Da war Mike für einen Monat zu Dave ins Haus gezogen. Dave hatte zwar gesagt, er käme ganz gut allein zurecht, aber Mike hatte es nicht übers Herz gebracht, ihn allein zu lassen, wo er doch wußte, daß Dave nur noch eine kurze Zeitspanne zu leben vergönnt war.
    Aus irgendeinem, Mike unerfindlichen Grund hatte Dave darauf bestanden, daß er, Mike, in Samanthas und nicht im Gästezimmer wohnen sollte. Als Mike ihr Zimmer gesehen hatte, mußte er lachen - denn es war das Zimmer eines Kindes gewesen.
    »Samantha und ihre Mutter haben alles gemeinsam ausgesucht«, hatte Dave mit einem Lächeln und einem zärtlichen Blick auf die Sachen im Zimmer erklärt.
    Ihm, Mike, hatte schon die Bemerkung auf der Zunge gelegen, daß Samanthas Mutter bereits seit Sams zwölftem Lebensjahr tot sei, aber er hatte nichts gesagt, sondern nur seinen Koffer auf dem Teppich abgestellt, der als Muster kleine, Ballett tanzende, rosenfarbene und weiße Ballerinen aufwies, und sich das Bett angesehen - ein weißes Vier-Pfosten-Bett, drapiert mit pinkfarbenem Tüll, der mit großen rosa Schleifen an den vier Ecken des Bettes befestigt war. An einer Wand stand eine kleine Frisierkommode mit einer weißgepunkteten Stoffauflage und dem Kamm und der Haarbürste eines Kindes darauf. Als Mike sich in dem Raum umschaute, erwartete er, jeden Moment ein zehnjähriges Mädchen durch die Tür kommen zu sehen.
    Doch er wußte von Dave, daß Samantha in diesem Zimmer gewohnt hatte, bis sie mit ihrem Ehemann nach Santa Fe gezogen war. Als er die Türen eines Kleiderschranks öffnete, war er darauf gefaßt, auch hier Kindersachen mit Rüschchen und Spitzenleibchen vorzufinden, doch statt dessen sah er langweilige, formlose und fast fanatisch reizlose Kleider auf den Bügeln hängen, die zweifellos nur einer Erwachsenen passen konnten.
    In den nächsten paar Wochen nahm Mikes Neugierde, Daves Tochter betreffend, die in einem Kinderzimmer groß geworden war, noch zu. Dave hatte Schmerztabletten, die ihn lange schlafen ließen, und so hatte Dave genügend freie Zeit, die er dazu benutzte, Samanthas Zimmer zu erforschen. Zuerst kostete ihn das einige Überwindung, weil er wußte, daß ihn das alles ja eigentlich nichts anging, aber als die Tage verstrichen und er kaum etwas zu tun hatte, hatte er immer weniger Skrupel, in den Schubladen und Schränken herumzustöbern.
    Dave hatte ihm seine Tochter als lebhaften, eigenwilligen und tatkräftigen Charakter beschrieben. Wenn dem so war - warum hatte sie dann all diese Jahre über in dem Zimmer eines Kindes gelebt?
    Als Mike ein Poesiealbum von Samantha entdeckte, hatte er es interessiert durchgeblättert. Sie hatte Fotos von Filmstars und Rock-Sängern ausgeschnitten und eingeklebt, und er fand auch etliche gepreßte Blumen zwischen den Seiten. Alles schien ihm auf ein ganz normales zwölfjähriges Kind hinzudeuten - nur daß zehn Seiten vor dem hinteren Buchdeckel ein Zeitungsausschnitt eingeklebt war mit einem Nachruf auf ihre Mutter und danach keine Eintragungen oder Bilder mehr kamen. Und obwohl er überall danach suchte: Es gab keine Poesiealben aus der Zeit nach dem Tod ihrer Mutter.
    Er fand fünf von Samantha geführte Tagebücher, alle in einer runden Kinderschrift verfaßt und angefüllt mit Geheimnissen, die sie mit ihren Freundinnen im Flüsterton ausgetauscht hatte, und den Namen jener Personen, für die sie in dieser oder jener Woche geschwärmt hatte oder in die ihre Freundinnen zu jener Zeit verliebt gewesen waren. Und sie berichtete darin

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