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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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einmal mehr den Teufel drum, daß der einen ganzen Kopf größer war. In den Schlick, in den Morast riß Georg Jennerwein den Feind; zwischen die Schenkel hieb er ihm das Knie, in die Fratze hämmerte er ihm die Faust, wieder und wieder. Als er das Blut quellen sah, lachte er. Spie aus den eigenen roten Schleiern heraus gegen das andere Rot. Schlug noch einmal zu, obwohl sich der Hans schon gar nicht mehr wehrte. Irgendwie war das jenseitige Ufer jetzt doch noch erreicht worden. »Bist nicht mein Bruder!« fauchte der Zehnjährige. »Und sag nie wieder Mutter zu ihr!« Wenn ich einen großen Stein nähme, dachte er, könnte ich ihm jetzt den Schädel eindreschen. Doch er ließ es bleiben, rannte los, zurück zum Gütl, weil er sonst keinen Platz wußte.
    Der Geißler freilich wies ihm einen zu, obwohl die Marei – »Es ist doch unser Hochzeitstag!« – für ihren Sohn bat. Unterm Angenagelten landete der Girgl erneut. Dem Jesus stak das Eisen in Händen und Füßen, dem Zehnjährigen schnitten die Scheiterkanten ins Kniefleisch. Der Schmerz bohrte sich hinein unter die Knochenscheiben, mörderisch. Ging immer tiefer, schien ihm die Beine zuletzt zu zerschneiden. Georg Jennerwein rotzte sein Heulen trotzig in den Rachen hinunter. Der andere, der mit dem Blutschorf um die Nasenlöcher, belauerte ihn aus dem Zwielicht hinterm Stubentisch heraus. Die Alte war stumm geworden wie einst unter der Fuchtel des Säufers. Das Antlitz der Marei wirkte leer, wie erloschen. Bis zum Vesperläuten litt sie stumm mit ihrem Sohn. Erst dann, nach weiterem ausuferndem Gebet, gestattete der Geißler, daß der Sünder hinauf in die Kammer humpeln durfte, ohne Abendessen. Auf dem Strohsack, unterm klammen Tuchet verkroch sich Georg Jennerwein, das Nachglühen der Scheiter noch stundenlang im Fleisch. Nicht fern von ihm schnaufte in seiner Bettstatt der Dreizehnjährige. Girgl, im Haß ungebrochen, überlegte, ob er sich den Hundsfott mitten in der Nacht noch einmal vornehmen sollte. Besonders weil aus der Schlafkammer nebenan jetzt auf einmal dieses Keuchen und Stöhnen zu vernehmen war.
    An die Spielhahnfeder dachte die Marei; ganz nahe war sie ihr jetzt auf einmal wieder, und nun wehrte sie sich nicht mehr gegen die Erinnerung, sondern zerrte sie förmlich heran, wie zum Schutz. Der Hallodri nämlich, der Vater des Girgl, war wenigstens zärtlich gewesen zu ihr, damals. Der aber, der jetzt, in ihrer späten Hochzeitsnacht, gegen sie bockte, war nichts als ein Vieh. »Schwanger werden müßtest du wegen mir eh nicht mehr. Das tät ich nicht unbedingt von dir verlangen…«, hatte er damals gemurmelt. Daß sie ihm etwas anderes beibringen wolle, unter vier Augen, im Ehebett, das hatte die Marei sich in ihrer Unschuld vorgenommen. Jetzt aber lag der Betbruder auf ihr, die grobwollenen Unterhosen in den Kniekehlen und die stinkigen Socken an den Füßen, und nahm sie her, als sei sie ein Stück Holz. Die Schmerzen erschienen der Endzwanzigerin ärger als damals, da sie den Girgl zur Welt gebracht hatte. Sie klammerte sich im Geiste fest an der Spielhahnfeder, biß die Zähne zusammen und betete ihrerseits zur Muttergottes, daß er endlich zum Ende kommen möge. Mit einem Grunzen tat er’s zuletzt, rollte sich weg von ihr und ließ sie, wund am Geschlecht und wund in der Seele, allein.
     
    *
     
    »Wo ist mein Vater, sag’s mir!« Neben einem Heuhaufen stand Georg Jennerwein, am Tag vor Allerheiligen war’s, und gabelte der Mutter zu. Die Marei warf das Grummet den Rindern vor, ließ sich lange Zeit mit der Antwort. »Der Geißler ist jetzt dein Vater«, erwiderte sie endlich. Und dachte: Er hat dem Buben noch nicht einmal seinen Namen gegeben, hat sich geweigert, weil der Girgl unehelich ist.
    »Der nicht!« trotzte der Zehnjährige. »Der ist’s nicht! Den hat’s früher ja gar nicht gegeben! Wer ist mein Vater wirklich? Wo ist er jetzt?«
    »Er ist damals gekommen nach Haid«, murmelte die Marei, »und ist dann bald wieder gegangen. Weiß auch nicht, wo er jetzt steckt. Irgendwo in der weiten Welt halt…« Ihr Blick wurde weich, sehnsüchtig. »Eine Spielhahnfeder hat er am Hut getragen, eine kecke…« Die Stimme der Frau wollte versagen, aber dann setzte sie, rauh plötzlich, noch einmal an: »Mehr kann ich dir nicht sagen. Höchstens seinen Namen könnt’ ich dir noch nennen, aber was tät’ dir und mir das schon helfen?! Ist so lange her, Girgl, und jetzt leben wir hier. Du, die Großmutter und ich. Zusammen mit den

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