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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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dieser ersten Geltinger Jahre. Auf dem Geißler-Gütl, das ihm ums Verrecken nicht zur Heimat werden wollte, die Strafen dafür. Das Scheitelknien, die Schläge, dazu penetrant das »Du taugst nichts!«, das »Was hast du jetzt wieder angestellt, du Heide?!«, das »Bist denn aus einer Judenschul’ entsprungen?!«, das Belfern, das Blecken, das Zischeln. Der Geißler, betwütiger denn je, kein Vater; der Jennerwein, immer verstockter, kein Sohn. Der Hans, der ihm das eine ums andere Mal als Vorbild hingestellt wurde, ständig ein Stachel im Fleisch. An der Loisach zog der Girgl infolgedessen seinen gletschergrünen, felsmilchigen Schutzpanzer um sich, kapselte sich ab mehr und mehr, führte wiederum das Bankertleben, das Hundeleben, von mentalen Panik- und Sehnsuchtsfluchten durchsetzt, während das Land, in dem er lebte, leben mußte – Bayern –, mehr und mehr ins Protzen, Gleißen und einen zumindest vermeintlichen Aufschwung geriet.
     
    *
     
    Sein siebenhundertjähriges Bestehen feierte München in diesen Jahren; krachen ließ man es in der Residenz, bejubelte das Haus Wittelsbach, einen gekrönten Bluthund aus dieser Dynastie um den anderen. Nachträglich kroch eine bierselige Bürgerschaft noch einmal dem marianischen Maximilian {26} in den Arsch, ebenso dem Blauen Kurfürsten {27} ; dem von Säkulum zu Säkulum allgegenwärtigen katholischen Klerus auch.
    Der hatte das immerwährende Leid der zahllosen unehelichen Kinder, der ledigen Mütter, der vergewaltigten Gattinnen, der Bresthaften {28} in den feuchten Kellerlöchern, der Rachitischen, der irgendwo angeketteten Debilen, der unschuldig Hingerichteten und widerrechtlich Gefolterten, der hoffnungslosen Knechte und krummgeschufteten Mägde, der Kriegskrüppel und Gepreßten landauf, landab mit einer wahrhaft götzischen Fülle von Sakralbauten überkleistert. Der hatte den Thron am Leben erhalten und tückisch seine Altäre dazu, und nun, nachdem die siebenhundertjährige Pyramide der Blasphemie aufgerichtet worden war, beweihräucherte der Erzbischof von München und Freising ausufernd seiner Kirche und des Herrscherhauses entsetzliches Werk.
    Beweihräuchert wurde auch anderes in dieser Zeit, so etwa die erste Eisenbahn, die 1859 von Nürnberg über Sulzbach und Amberg nach Regensburg dampfte. Für die einfache Bevölkerung freilich waren die Billetts viel zu teuer; einmal mehr für die Großkopfeten hatte man konstruiert, fürs Militär dazu, um möglicher späterer blitzschneller Truppenbewegungen willen. Militärisches Denken bestimmte auch die ungeheuerliche Erfindung des Dillinger Ingenieurs und Unteroffiziers Wilhelm Bauer {29} , welcher ein Unterseeboot zusammengenietet und seinen »Seeteufel« kurz vor dem Umzug der Familie Jennerwein nach Gelang in der Ostsee auf Grund gesetzt hatte. Während München nunmehr feierte, brütete der Waffenkonstrukteur in seiner schwäbischen Heimat bereits über neuen Plänen; ein Luftschiff schwirrte ihm im Schädel herum, Flügelbomben auch, dem vorerst noch weiß-blauen Vaterland zu Ehren.
    Seine Ehre wiederum sah der bayerische König Maximilian II. im April 1859 darin, die Mobilmachung der wittelsbachischen Truppen zu befehlen. Anlaß war der sardinisch-französisch-österreichische Krieg; noch freilich blieb es beim Säbelrasseln und einem mehr oder weniger friedlichen Durchzug habsburgischer Truppen durch Bayern. Irrlichternd zeichnete sich aber das spätere Gewittern von 1866 bereits am Horizont ab, schon war in Preußen Prinz Wilhelm als Regent zur Macht gekommen; ebenso hatte sich in Berlin ein »Deutscher Nationalverein« konstituiert. 1860 dann, als der Protzbau der Propyläen zu München sichtlich seiner Vollendung entgegenging, zog der Geruch von Pulver auch durch den Stadel des Gütleranwesens zu Gelting.

Die Jägerschlacht
     
    Georg Jennerwein, zwölfjährig jetzt, hatte das ausgeleierte Terzerol {30} gegen drei mit der Schlinge gewilderte Hasen eingehandelt. Ein paar Tage lang hatte die Waffe samt der Munition in einem spinnwebenverkleisterten Winkel in der Scheune gelegen. Nun, da die anderen an diesem Hochsommertag des Jahres 1860 allesamt beim Heuen waren und auch der Girgl bloß zum Brotzeitholen zurück aufs Gütl gelaufen war, juckte ihn unwiderstehlich das Fell.
    Neben der Häckselbank kauerte er, hatte auf den Waitling {31} mit der gestöckelten Milch völlig vergessen. Statt dessen stach ihm erregend der trockene Pulvergeruch in die Nüstern. Aus dem Tütchen füllte der

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