Jennerwein
Halbwüchsige ein gutes Maß in den Lauf, pfropfte, da ihm kein Filzfetzen zur Hand war, mit Heu, preßte mit Hilfe eines Stöckchens sodann die Bleikugel nach. Den Hahn zog er auf und brachte, mit vor Erregung zittrigen Händen nunmehr, das Zündhütchen an seinen Platz. Sein Atem flog, als er die Waffe anschlug, als er Imaginäres ins Visier nahm; den Geißler vielleicht, möglicherweise auch den Hans.
Eigentlich hatte er sich das wirkliche Schießen gar nicht gestatten wollen, vorhin, als er in die Scheune gerannt war. Hatte bloß das kühle Metall spüren wollen, die Möglichkeit, die Macht. Hatte wachsen wollen an der Sprengkraft, die – unscheinbar wie er selbst – im Lauf lauerte. Jetzt jedoch machte sich dies alles jäh selbständig.
Der Schuß dröhnte, ohne daß Georg Jennerwein den Abzug bewußt betätigt hatte. Es war eher ein Zusammenkrampfen der Faust gewesen, randepileptisch irgendwie. Als der Feuerblitz aufgrellte, der Rückstoß ihm das Handgelenk stauchte, verspürte der Zwölfjährige, gleichzeitig mit dem Schock, reinstes Entzücken. Wie nächtens jetzt gelegentlich, nach dem heimlichen Wetzen unter der Bettdecke. Etwas zutiefst Angestautes und Verspanntes pulste, zuckte zusammen mit dem Explosionsknall aus ihm; der Grauäugige schrie gurgelnd, während die Kugel an der gegenüberliegenden Wand in ein Fichtenbrett fetzte.
Ganz wie beim Wetzen dann aber sofort das entsetzliche Zurückschrumpfen der Euphorie. Nicht eklig-feucht freilich, sondern als herzbeklemmender Fünkchenregen. Das Heu, mit dem der Leichtsinnige gepfropft hatte, es hatte den verheerenden, mückenfeinen Glühschleier durch den zundertrockenen Raum gezogen. Jetzt, während das Einschußloch selbst bloß bräunlich verfärbt war, sprotzelte und knisterte es anderswo an einem Dutzend Stellen zugleich auf. In verstreuten Grummetresten fing sich die fiedrige Glut, in vergessenen Häckselhäufchen, im abgemorschten Holzstaub der Tenne. Fing sich, fraß sich fest, züngelte wenige Lidschläge später da und dort schon spannenhoch. Der Zwölfjährige, Hiebe, Holzscheiter und haßerfülltes Zischeln schwirrten ihm durch den Schädel, stürzte sich in Panik auf die Flammenherde und begann verzweifelt zu kämpfen.
Das Pfoad {32} riß er sich vom Leib und schlug auf das Knistern, Sprotzeln und Fauchen ein. Barfüßig trampelte er gleichzeitig gegen die Glühhitze an. Das eine Züngeln würgte er ab, bloß daß anderswo wieder ein neues aufsprang. Er warf sich hin, wälzte sich und trug so seine halbnackte Haut zu Markte. Die Brandblasen blühten ihm halbdutzendfach auf im Handumdrehen. Aber er schaffte es, löschte ab, was auf der Tenne nach ihm biß und nach dem gesamten Gütl schnappen wollte.
Jetzt noch weg mit dem Terzerol – und dann nichts wie zurück auf die Heuwiese, dachte er keuchend. Und: Was sag’ ich bloß den anderen, weil das Pfoad hin ist?!
Und dann, in sein nachwummerndes Erschrecken hinein, der neuerliche Funkenregen. Das Brett, in das die Kugel eingeschlagen hatte, barst förmlich weg; hinterfotzig in die Stadelhohlwand hatte sich das Feuer dort eingefressen. Hatte Zeit gewonnen, während der Zwölfjährige lediglich marginal gelöscht hatte, und nun hämmerten der Rauch und die Hitze wie mit Hammerschlägen gegen ihn heran. Heulend jetzt, rotzend, nahm er den Kampf noch einmal auf. Wieder mit dem versengten Hemd, dann mit bloßen Fäusten, als er versuchte, die brennenden Planken vom Balkenwerk zu reißen. Trotz allem wuchs ihm das Fauchen über den Kopf – und dann wurde er plötzlich gepackt, ein brutaler Hieb ließ ihm die Lippe aufplatzen; er kam zu Fall.
Der Geißler, mit ihm der Hans und die Marei, hatten den Rauch von der Heuwiese aus gesehen und waren jetzt gerade noch rechtzeitig gekommen. Axtschläge krachten, Wassergüsse klatschten und zischten die Brunst endgültig weg. Auf allen vieren kroch der Zwölfjährige ins Freie, wartete zitternd in der Nähe des Dunghaufens ab. Zuletzt verzog sich der Qualm, und nur das häßliche, splittrige Loch, mannshoch, in der Scheunenwand blieb zurück. Und aus dieser Höllenpforte heraus der Geißler, heiligen und erschreckend gerechten Zorn im Gesicht.
Gerade daß er der Marei noch gestattete, die Brandwunden des Halbwüchsigen notdürftig zu versorgen. Und daß er nicht mit dem Lederriemen ins geschundene Fleisch des Girgl hineinschlug. Aber das Scheitelknien bis tief in die Nacht hinein ersparte er ihm nicht. Und auch nicht das Fasten: »Sieben Tage lang, du
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