jennissimo (German Edition)
Brüste“, seufzte Jenna. „Meine Mom machtsich ständig Sorgen um ihr Gewicht. Sie nimmt jedes Jahr dieselben fünfzehn Pfund zu und dann wieder ab. Dabei bemerkt sie gar nicht, dass sie immer wunderschön ist. Als Teenager habe ich oft beobachtet, wie mein Dad sie anschaute, und ich wusste, was er dachte. Das hat mich immer total genervt. Eltern sollten keinen Sex haben. Aber jetzt finde ich es toll – nun, zumindest in der Theorie. Die Einzelheiten möchte ich nach wie vor nicht wissen.“ Sie betrat den Schrank. „Deine Verabredung ist am Dienstag, richtig?“
„Hmm.“
„Also wird er wahrscheinlich direkt von der Arbeit kommen. Im Anzug. Ich finde, du solltest ein Kleid tragen. Da kommt die Erziehung meiner Mutter durch.“ Sie hob die Stimme etwas an. „Ein Mann sieht es gern, wenn die Frau ein Kleid trägt.“
Violet hatte selbst eine Menge Erfahrung damit, was Männer mochten oder nicht mochten, aber das half ihr für diese bestimmte Verabredung wohl eher nicht weiter. Das war eine andere Welt. Wem wollte sie da eigentlich was vormachen?
Jenna zog drei oder vier Kleider heraus. „Probier die doch mal.“
Das erste war ein kurzärmliges taubengraues Baumwollkleid. Das Mieder war mit Rüschen versehen und an der Seite gebunden. Der Rock hatte noch größere Rüschen.
Nicht wirklich mein Stil, dachte Violet.
„Ich habe einen Gürtel, den du dazu tragen könntest“, sagte Jenna. „Angezogen sieht es wirklich gut aus.“
„Okay, ich probier’s mal.“ Immerhin war ja ihr Ziel, wie jemand anders auszusehen.
Jenna reichte ihr das Kleid. „Ich freue mich schon auf die Modenschau.“ Sie ging zurück ins Schlafzimmer.
Violet zog die Stiefel aus und schlüpfte aus ihrer schwarzen Hose, dem Tanktop und dem Spitzenoberteil. Dann zog sie das Rüschenkleid über den Kopf und knöpfte es zu.
„An der Badezimmertür ist ein großer Spiegel“, sagte Jenna und zeigte ihr den Weg.
Violet folgte ihr, schloss die Tür und starrte sich an. Die Farbe ist gar nicht schlecht, dachte sie, während sie sich hin und her drehte. Auch war die Größe perfekt, aber der Stil passte einfach nicht zu ihr.
„Ich sehe aus wie zwölf“, sagte sie.
„Es ist nicht ganz das Richtige“, stimmte Jenna ihr zu. „Ich habe noch ein schwarzes Kleid, das dir bestimmt besser steht. Warte, ich hole es.“
Sie verließ das Badezimmer, um wenige Sekunden später zurückzukehren. Das Kleid, das sie über dem Arm trug, gefiel Violet schon besser. Es hatte einen einfachen, runden Ausschnitt und breite Träger.
„Schlicht, elegant, Seide“, sagte Jenna.
Violet entdeckte das Preisschild. „Das kann ich nicht tragen! Es ist noch neu.“
„Was hat das denn damit zu tun?“
„Das Kleid gehört schließlich dir. Du solltest es zuerst tragen.“
„Wenn wir darauf warten, wird ein weiteres Millennium vergehen.“ Jenna drückte ihr das Kleid in die Hand. „Probier es wenigstens mal an.“
Violet zögerte. Sie trug nie Seide. Seidenkleidung war teuer und gehörte in die Reinigung, solche zusätzlichen Ausgaben konnte sie nicht gebrauchen. Doch das Kleid fühlte sich unglaublich an, und der Schnitt gefiel ihr. Sie hängte es an die Handtuchstange und schlüpfte aus dem Rüschenkleid, ohne eine Sekunde darüber nachzudenken. Als sie nach dem anderen Kleid griff, konnte sie Jennas Überraschung geradezu fühlen. Eine Sekunde zu spät fiel ihr ein, dass es vermutlich nicht angebracht war, sich vor ihrer Chefin bis auf Höschen und BH auszuziehen.
Jenna stand hinter ihr und hatte somit einen guten Blick auf die kunstvoll verästelte Tätowierung auf ihrem unteren Rücken und den Rosen zwischen ihren Schulterblättern. Über ihren linken Oberschenkel zogen sich chinesische Schriftzeichen, ein keltisches Symbol erstreckte sich über beide Arme und einDelfin wand sich über ihrem rechten Fußknöchel.
„Die sind wunderschön“, sagte Jenna, und es klang so, als ob sie es ehrlich meinte.
Violet nahm das schwarze Kleid vom Bügel. „Das war sozusagen eine geografische Notwendigkeit“, sagte sie und zog den Reißverschluss auf. „Ich habe eine Zeit lang auf der Straße gelebt. Die erste Tätowierung war eine Mutprobe, und die nächsten waren nötig, um nicht aufzufallen.“
Alle weiteren kamen hinzu, weil sie zu dieser Zeit dachte, dass es das Richtige wäre. Nicht dass sie es bereute – aber wegwischen konnte man sie eben auch nicht.
„Warum hast du auf der Straße gelebt?“, fragte Jenna. „Oder ist die Frage zu
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