Jenny und der neue Vater
aufgeschlagenes Buch auf der Decke liegend. Kirsten hatte Mitleid mit ihrer Tochter. Für sie selbst war die Situation sicher schon sehr belastend, aber für das Mädchen musste es die Hölle sein. Doch was sollte sie tun? Jenny weigerte sich darüber zu reden.
Der Tag verging, indem Kirsten regelmäßig die Temperatur kontrollierte, und die blieb eigentlich den Tag über konstant hoch. Die Nacht verbrachte Jenny in Kirsten Bett, nassgeschwitzt und immer wieder von Alpträumen geplagt, aus denen sie hochschreckte. Kirsten wollte auch am nächsten Tag wieder zuhause bleiben, obwohl sie Björn gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte. Der allerdings hatte versprochen, an diesem Abend vorbei zu schauen, um Jenny ein wenig aufzumuntern. Das Mädchen aber wollte nicht, dass Kirsten noch einen Tag von der Arbeit fern blieb.
„Mama, du musst dir keine Gedanken machen. Du bist doch nur heute Vormittag weg. Und ich werde noch etwas schlafen und lesen. Und außerdem ist ja auch Othello hier. Geh du ruhig zur Arbeit.“ Jenny sah noch immer zum Erbarmen aus, und auch das Fieber war noch nicht gesunken.
Aber Kirsten ließ sich überzeugen. Jenny war nicht mehr so klein, dass sie ständige Betreuung brauchte, und es waren ja auch nur rund dreieinhalb Stunden, in denen Kirsten weg war. Außerdem gab es ein Telefon. Wenn die Kleine etwas dringend brauchte, konnte sie anrufen.
„Du musst mir aber versprechen, nicht aufzustehen und sofort anzurufen, wenn etwas ist.“
„Ja, Mama.“
„Und mach die Tür nicht auf, wenn es klingelt. Wer etwas will, muss später wieder kommen.“
„Ja, Mama.“
„Und komm nur nicht auf dumme Ideen, mein Schatz“, setzte Kirsten lächelnd hinzu.
„Ja, Mama.“
War das ein kleines Grinsen, das sich da auf Jennys Lippen spiegelte? Doch es verschwand gleich wieder, und Kirsten glaubte schon sich getäuscht zu haben. Sie rief noch rasch bei Julian an, der versprach, den Nachmittag bei Jenny zu verbringen, was ihm auch gar nicht so unlieb war. Wenn dieses Fieber wirklich auf die seelische Belastung zurück zu führen war, dann würde Kirsten eben dafür sorgen, dass ihre Tochter aufgemuntert wurde.
Jenny legte sich wieder in ihr eigenes Bett, Othello kuschelte sich auf die Decke zu Füßen des Mädchens, und Kirsten stellte noch alles in Reichweite, was Jenny vielleicht brauchen konnte, Saft und Mineralwasser, etwas zu essen und auch zum Naschen, und natürlich das Telefon. Mit einem Kuss und einem letzten sanften Streicheln durch das Gesicht ging Kirsten davon. Jenny starrte ihr hinterher und weinte erneut.
*
„Dein Vater ist ganz schön abgedreht“, stellte Julian fest, als er Jenny besuchte. Kirsten hatte die Kinder allein gelassen, mittlerweile hatte sie einen guten Eindruck von dem Jungen, dessen Überheblichkeit und Großspurigkeit innerhalb seiner Clique nur vorgetäuscht war.
„Mein Vater ist gemein.“ Das war das erste Mal, dass Jenny über Alex sprach nach der verpatzten Geburtstagsfeier.
„Er hat sich nicht gut benommen. Aber er hat an deinen Geburtstag gedacht. Meinst du nicht doch, dass er dich ein bisschen lieb hat?“
Jenny schaute ihren Freund aus roten Augen in einem blassen Gesicht an, dann schüttelte sie langsam den Kopf.
„Nein. Ich will dir was erzählen, Julian. Mein Vater hatte meine Mama mit seiner Eifersucht verfolgt, immer wieder. Und dabei hat er mich nicht beachtet, so als wäre ich ein Möbel oder so was. Und jetzt auf einmal, wo Mama endlich lebt und auch Björn gefunden hat, der so lieb ist, da glaubt mein Vater, dass er mich bestechen oder kaufen kann. Und dann benimmt er sich so schrecklich.“
„Und deswegen bist du jetzt krank?“
„Ich weiß nicht. Mama fährt morgen mit mir zum Doktor, der will noch Untersuchungen machen.“
Julian beugte sich vor und steckte seiner Freundin ein Stück Schokolade in den Mund, und ein Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht.
„Du musst nicht krank sein wegen deinem Vater. Du hast doch mich. Und ich werde dich beschützen.“
„Du bist albern“, kicherte Jenny plötzlich. „Was könntest du schon gegen einen Erwachsenen ausrichten? Aber du bist lieb, und ich bin froh, dass du hier bist.“
Später kam Björn und brachte ihr noch ein Buch mit. Julian ging in die Küche zu Kirsten. Sie gab ihm einen Saft und setzte sich ihm gegenüber. „Was hat Jenny gesagt?“, forschte sie.
„Nichts besonderes“, wich er aus.
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. „Du bist ihr Freund, Julian, du hast
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