Jenseits aller Tabus
Lucille rasch ein, da Alex schließlich ihretwegen das Risiko einer Abmahnung eingegangen war.
Noch immer starrte sie auf seine Brusttasche und wusste im ersten Moment selbst nicht, was ihre Aufmerksamkeit gefangen nahm. Erst nachdem sie genauer hinsah, erkannte sie einen roten Fleck, der durch sein weißes Sommerhemd schimmerte, gleich neben der Stelle, über die seine Fingerspitzen gestrichen hatten. Hatte er seinen Brustkorb rasiert und sich dabei verletzt? Als Surfer legte er bestimmt viel Wert darauf, am Strand eine gute Figur zu machen.
Craig beugte sich vor und stützte sich mit beiden Händen auf der Teakholzplatte ab.
»Der Bericht, ich will ihn sehen!«
»Sie sind verdammt hartnäckig und auch noch stolz darauf, was?« Wie eine Krähe legte Alex seinen Kopf schief. »Sie haben mein Wort, ich bin ein Bundesagent, das dürfte Ihnen reichen.«
Selbstsicher richtete sich Craig auf und verschränkte seine Arme vor dem Körper.
»Ich war schon einmal zu leichtgläubig, was die Ermittlungsbehörde betrifft. Diesen Fehler werde ich nicht noch einmal begehen. Bei allem Respekt, Special Agent Fisher, Ihre Behauptungen sind mir suspekt.«
Mit finsterer Miene erhob sich Alex von seinem Platz. Wie zwei Kampfhähne, die sich belauerten, standen sie sich gegenüber. Nur zwei Schritte trennten sie voneinander.
»Die Schusswaffe, die Sie bei sich tragen …«, sagte Craig und fixierte sein Gegenüber. »Warum steckt sie nicht in einem Holster, sondern zwischen Ihrem Hosenbund und Ihrem Rücken? Man könnte ja meinen, Sie wollten sie verstecken.«
Verdutzt krauste Lucille ihre Stirn. Sie rutschte bis zum Rand ihres Stuhls vor und neigte sich zur Seite. Tatsächlich sah sie einen Pistolengriff, der aus Alex’ Hose ragte. Craig musste ihn beim Betreten des Salons bemerkt haben. Bei ihren Treffen zuvor hatte Alex immer ein Schulterholster getragen. Dass er bewaffnet war, hatte Lucille immer ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. In diesem Augenblick jedoch flößte genau das ihr Angst ein.
»Sie wollen Beweise?« Alex’ Stimme wurde so rau wie ein Reibeisen, sie jagte Lucille einen Schauer über den Leib. »Ich zeige Sie Ihnen.«
Blitzschnell langte er nach hinten, doch anstatt die Laborergebnisse aus seiner Gesäßtasche zu zaubern, zog er seine Handfeuerwaffe und richtete sie auf Craig.
Lucille wagte einige Sekunden lang nicht zu atmen. Die ganze Situation geriet völlig außer Kontrolle! Sie verstand Alex’ Missstimmung, weil sie ihm nicht glaubten. Aber seine Reaktion war maßlos übertrieben, er ging zu weit. Wie er da stand, erweckte er den Eindruck eines Tieres, das in die Ecke gedrängt worden war, ein kleiner unerfahrener Welpe, der bei der kleinsten Provokation die Zähne bleckte.
»Die Waffe stammt nicht aus der Rüstkammer des Federal Bureau of Investigation.« Craig zuckte nicht einmal mit der Wimper, was Lucille einerseits imponierte, andererseits trieb seine Gelassenheit sie langsam in den Wahnsinn.
Grinsend schwenkte Alex die Pistole.
»Special Agents benutzen entweder die Marke Glock, SIG oder Springfield. Aber dies«, bemerkte Craig, und als er auf die Pistole deutete, zuckte Alex kaum merklich zurück, »ist eine Browning.«
»Gut erkannt, Bellamy. Ich hatte so eine Ahnung, dass es ratsam war, heute eine Wumme mitzunehmen, die nicht zu mir zurückverfolgt werden kann.« Alex’ Grinsen wurde schäbiger.
Obwohl er sich überlegen gab, zeugte seine gerötete Stirn von seinem inneren Aufruhr. Die Flecken erinnerten Lucille an den seltsamen Schatten auf seinem Hemd. Irgendetwas Rotes war unter dem weißen Stoff verborgen. Je angestrengter sie hinsah, desto mehr kristallisierte sich die Form heraus. Das Gebilde fasste seinen Nippel ein. Auf der rechten Seite, die nach oben gebogen war, lief es spitz zusammen, auf der linken dagegen endete es in drei Ausläufern. In einem Kopf und zwei Scheren, vielleicht, grübelte Lucille, wie ein Hummer.
Plötzlich dämmerte es ihr. Zum Glück saß sie, denn ihr wurde schwindelig. »Du hast ein Skorpionstattoo auf der Brust«, brachte sie atemlos hervor.
Eben noch leuchteten einige gerötete Stellen knapp unter seinem Haaransatz, nun wich jegliche Farbe aus seinem Gesicht. Konsterniert schaute er auf sein Hemd und zupfte daran herum, bis die Brusttasche die Tätowierung verdeckte. »Ich hätte mein Jackett nicht ausziehen sollen. Aber jetzt ist sowieso schon alles zu spät.«
Es gab kein Zurück mehr, erkannte auch Lucille mit Schrecken, keine
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