Jenseits aller Tabus
Büro verließ, hielt sie die Luft an, um auf dem Korridor geräuschvoll auszuatmen. Über die Schulter hinweg sah sie zu ihm zurück. Die Verwirrung stand ihr gut, sie machte Kirby sexy.
Craig vermutete, dass seine Großzügigkeit ihr suspekt erschien, aber darauf musste er es ankommen lassen. Sie befand sich in seiner Gewalt, und er würde sie nicht gehen lassen, bis er herausgefunden hatte, ob sie ihm dienlich sein konnte.
Wenn er nur nicht so angetan von ihr wäre! Er stand sich selbst im Weg, weil er sich zu seinem Opfer hingezogen fühlte, und war unfähig, die Skrupellosigkeit an den Tag zu legen, die er haben musste.
»Wandele deine eigene Schwäche in Stärke«, hörte er seinen Vater sagen.
»Das werde ich, Dad«, murmelte er und betrachtete Kirbys Kehrseite, während sie den Korridor entlangeilte, um ihre Tasche zu holen und das Boot noch zu erwischen. »Ich tu es für dich.«
Wie eine Spinne in ihrem Netz würde Craig auf sein Opfer lauern und im richtigen Moment zuschlagen.
8. KAPITEL
Was für ein Mann, dachte Lucille, verrückt und doch anziehend. Noch immer spürte sie Craig Bellamys Blick, der heiß auf ihrem Rücken brannte. Anstatt auszurasten und sie anzuschreien, war er vollkommen ruhig geblieben. Das hatte sie eingeschüchtert, sie verwirrt und ihr gleichsam imponiert. Er besaß eine innere Stärke, die man ihm nicht zutraute.
Aber warum um Himmels willen hatte er sie nicht rausgeworfen?
Ihrer Meinung nach – und der von Patrick – stellte eine Kündigung die einzig logische Konsequenz für ihr Fehlverhalten dar. Statt sie zu feuern, hatte er mit ihr geflirtet. Mit seinen Augen, seiner Nähe, seinen verführerischen Lippen, die ihr unziemlich nah gekommen waren. Was hatte er sich nur dabei gedacht?
Lächelnd trat sie in den Raum, in dem sich die Spinde für das Personal befanden, und nahm ihre Handtasche aus ihrem Schrank. Ein Sparfuchs war Craig jedenfalls nicht. Wieso auch, er besaß ja genug Geld. Trotzdem fand Lucille es verschwenderisch, dass Patrick in seinem Büro die Vorhänge zugezogen hatte, aber das Deckenlicht brannte.
Ihre Gedanken schweiften zurück zu Bellamy. Hatte er sie lediglich verunsichern wollen, damit sie ihm die Wahrheit sagte? Er war gewitzt und hatte gemerkt, dass etwas an der Geschichte, die sie ihm aufgetischt hatte, nicht stimmte. Aber sie wollte Madison nicht verraten, nicht ihretwillen, sondern weil es nicht Lucilles Charakter entsprach, jemanden zu verpetzen. Als sie bei den Pflegeeltern lebte, hatten die Kinder, die zusammengewürfelt aus den verschiedensten zerrütteten Familien stammten, die Situation nur durchgestanden, weil sie zusammengehalten hatten.
Es fiel ihr sogar schwer, gegen Richard auszusagen. Mochte er auch die La picadura del escorpión illegal mit Waffen beliefert haben, so war er doch zu ihr immer gut gewesen. Durch ihn hatte sie einen kurzen Blick auf die Sonnenseite des Lebens werfen dürfen. Es fühlte sich nicht richtig an, ihm zu danken, indem sie dem FBI half, ihn an den Pranger zu stellen – zumal es ihnen nicht nur darum ging, ihn zu verurteilen, sondern sie planten auch ein medienwirksames Exempel an ihm zu statuieren, um sich zu profilieren und ihr angekratztes Image aufzupolieren.
Weiß war nicht immer Lilienweiß und Schwarz nicht immer Pechschwarz. Traf das auch auf Craig Bellamy zu? Am Ende hatte er nicht nur heruntergespielt, dass sie ihn hüllenlos gesehen hatte, sondern auch ihre Lügen akzeptiert.
Wieso? Was versprach er sich davon? Sie fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie ihm genauso etwas schuldete wie Richard Dawson. Etwas war faul an der ganzen Sache.
Als Lucille das Haus verließ und durch den Garten zum Bootssteg eilte, beruhigte sie sich mit der Erklärung, dass sie vermutlich zu viel in sein Verhalten hineininterpretierte. Es hatte ihn erregt, von ihr betrachtet zu werden, das war so sicher wie das Amen in der Kirche, und es erfüllte sie mit einem Wohlgefühl, das in ihrem Brustkorb entsprang und wie warmer süßer Ahornsirup in ihren Schoß tropfte. Höchstwahrscheinlich schämte er sich für seine Erektion, sodass er den Vorfall herunterspielte, oder er hatte das Erlebnis so sehr genossen, dass eine Kündigung ihm unangemessen erschien. Vielleicht glaubte er jedoch auch, dass Außenseiter zusammenhalten mussten, denn das waren sie beide, jeder auf seine Weise.
Wie auch immer, sei vorsichtig, riet Lucille sich selbst. Während sie über den Steg ging, spürte sie den Sirup in ihrem
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