Jenseits aller Tabus
Lucille erschrak fast zu Tode. Sie flog herum, eilte in den Gang zurück und hielt ihre Taschenlampe vor sich wie ein Laserschwert.
Auf der untersten Treppenstufe stand Craig mit skeptischer Miene und einer Hand hinter seinem Rücken. »Bei was habe ich dich diesmal erwischt, Kirby?«
Lucille war wie versteinert. Wieso hatte sie ihn nicht kommen hören? Vielleicht hatte der Anblick der Waffen sie zu sehr gebannt. Oder er hatte sich angeschlichen.
Was verbarg er hinter seinem Körper?
Und weshalb hatte er die Luke hinter sich geschlossen?
16. KAPITEL
Craig bemerkte Angst in Kirbys Augen. Das versetzte ihm einen Stich. Unter den verabredeten Umständen sollte sie bei seinem Anblick erregt sein, verteufelt! Sollte er ihr sagen, dass er Ava und Cory niemals aufgrund des Vorfalls in der Sauna gekündigt hätte, weil die beiden loyale Mitarbeiter waren? Außerdem war Lust ein starker Magnet, das spürte er zurzeit am eigenen Leib.
Craig verwarf den Gedanken sogleich wieder. Nein, das Machtgefälle würde schwinden, aber genau das gefiel ihm, es gehörte zum Spiel dazu, und er hatte so eine Ahnung, dass es auch Lucilles Fantasie beflügelte. Außerdem durfte er nichts tun, um seine Position zu schwächen, nun, da er einen Schritt auf sein eigentliches Ziel zu machte.
»Ich wollte mir nur mal einen Schutzbunker anschauen.« Ihr Lächeln wirkte verkrampft. »Ich bin noch nie in einem gewesen.«
Skeptisch hob er seine Augenbrauen. »Und, wie gefällt er dir?«
»Mr Bellamy …«
»Craig«, korrigierte er sie. »Wenn wir unter uns sind, bitte ich dich, mich mit Vornamen anzusprechen.«
Dass Kirby zu seinem Personal zählte und er dies ausnutzte, belastete ihn. Es war falsch und entsprach nicht seinem Charakter. Aber um mehr zu erfahren, musste er so skrupellos werden wie sein Vater. Nein, so durfte er nicht über ihn denken. Ted hatte nur seinen verdammten Job gemacht. Aber entschuldigte die Hingabe für seine Arbeit das ein oder andere Opfer? Für Ted Bellamy heiligte der Zweck die Mittel. Craig dagegen sah das ganz anders. Niemals wollte er in die Fußstapfen seiner Vaters steigen, doch der Druck des FBIs nahm zu.
»Craig«, begann sie erneut, und seinen Namen aus ihrem Mund zu hören erregte ihn. »Es tut mir leid. Ich hätte fragen sollen, bevor ich hier heruntergestiegen bin.«
Er trat auf Kirby zu. Hatte sie gerade zurückweichen wollen? Unsicher, ob er sich nur getäuscht oder sie tatsächlich gezuckt hatte, blinzelte er.
Sie blieb stehen, sah ihn jedoch mit einem solch argwöhnischen Blick an, dass sich seine Eingeweide zusammenkrampften. »Weshalb sind die Waffen hier?«
Am liebsten hätte er sie in seine Arme gerissen und ihr versichert, dass er ihr nichts tun würde, aber da war er sich selbst nicht sicher. Er hatte in den letzten Jahren viel ertragen müssen. Wenn sie ihm Dinge erzählen würde, die sein Herz endgültig entzweibrachen, wusste er nicht, wie er reagieren würde.
»Die gehörten meinem Vater. Nach seinem Tod habe ich sie als Andenken behalten, wollte sie aber keinesfalls im Haus aufbewahren.« Das stimmte nur zum Teil, denn er hatte die Schusswaffen auch verwahrt, falls er sich dazu entschied, die Seiten zu wechseln. Er legte eine Hand an ihre Wange. »Bereust du es, auf mein unmoralisches Angebot eingegangen zu sein?«
Sie zögerte nur eine Sekunde zu lang, aber Craig, geschult durch seinen Vater, bemerkte es dennoch. »Nein, es verunsichert mich nur, nicht zu wissen, was auf mich zukommt.«
»Besteht darin nicht der Reiz?« Hitze breitete sich zwischen seinen Beinen aus, denn Kirbys Wangen röteten sich verlegen, da er ins Schwarze getroffen hatte. Er reichte ihr die Schachtel, ein schwarzer Karton mit einer eingestanzten rosa schimmernden Libelle darauf.
»Auf Geschenke lege ich keinen Wert!«, stellte sie energisch klar.
»Ich weiß, dass du nicht so bist.« Beeindruckt von ihrer Vehemenz, streichelte er zärtlich ihre Wange. Seine Fingerspitzen strichen über ihre Ohrmuschel, und Craig nahm erfreut die Gänsehaut an ihrem Hals wahr. »Öffne die Schachtel. Ich versuche nicht, dich mit Perlen und Diamanten zu kaufen.«
»Natürlich nicht«, sagte sie in diesem kecken Ton, den er an ihr liebte; einen Hauch zu kess für ein Dienstmädchen, aber niemals frech. »Das hast du gar nicht nötig. Du hast mich ja schon in der Hand.«
Manchmal jedoch war ihre Zunge ein wenig zu spitz. Ihr Kommentar traf ihn mitten ins Herz. Er wünschte sich wirklich, dass sie sich unter anderen
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