Jenseits aller Tabus
wusste sie, dass sie selig lächelte, nicht wegen dem außergewöhnlichen Sex oder dem bombastischen Orgasmus, sondern weil sie sich das erste Mal in ihrem Leben bei einem Mann geborgen fühlte. Lag das an den zarten Küssen, die Craig auf ihr Haar hauchte? Daran, dass er liebevoll ihren Nacken streichelte? Oder an seiner Umarmung, die so fest war, als wollte er sie nie wieder loslassen?
Glücklich lehnte sie den Kopf an seine Schulter und kuschelte sich an ihn.
19. KAPITEL
»Keine verliebten Blicke«, ermahnte sich Lucille leise, während sie vom Bootsanleger zum Personaleingang ging. Ein letztes Mal wandte sie sich zu Miles um, der ihr zuwinkte und sein Boot losmachte. »Wirf ihm keine zweideutigen Blicke zu!«
Natürlich meinte sie nicht Miles, sondern Craig, der mit Patrick zusammen am Salonfenster stand. Doch er bemerkte sie nicht einmal, da der Butler aufgeregt auf ihn einredete, bevor beide verschwanden. Was war jetzt schon wieder passiert? Hatte der Hausvorsteher eine Teppichfranse entdeckt, die sich erdreistete, nicht parallel zu den anderen zu liegen?
Enttäuscht schnalzte Lucille. Sie hätte schon gern herausgefunden, wie Craig auf sie reagierte. Würde er sie ignorieren, weil er bekommen hatte, was er wollte? Oder hatte er, genauso wie sie, die ganze Nacht nicht schlafen können, weil sie ständig daran hatte denken müssen, was zwischen ihnen geschehen war?
Das außergewöhnliche Vorspiel, Stunden voller sexueller Anspannung, am Ende der fulminante Höhepunkt.
Doch was sich in ihre Erinnerung eingebrannt hatte, war die liebevolle Umarmung während des Nachglühens und wie er sich nach einer Ewigkeit leidvoll seufzend von ihr gelöst, sie zärtlich angesehen und gesagt hatte, dass sie frühzeitig Feierabend machen könne.
Ihre Lippen prickelten noch immer – selbst einen Tag später – von seinem Abschiedskuss.
Kopfschüttelnd betrat sie die Villa. Wie konnte es sein, dass sie noch immer nicht sexuell gesättigt, sondern erneut erregt war, obwohl das frivole Spiel am gestrigen Tag sie durch und durch befriedigt hatte und sie sich danach sehnte, Craig nah zu sein?
Sie betrat den Umkleideraum und war froh, niemanden anzutreffen. Langsam schlenderte sie an den grauen Spinden, die rechts an der Wand standen, vorbei, wie ein Offizier, der eine Reihe mit Soldaten abschritt. Manche Angestellte zogen sich in der Villa komplett um, manche bewahrten lediglich Schuhe zum Wechseln darin auf. Nur die Spinde von Madison und Taylor quollen über vor Make-up, Lippenstiften, Haarspray und sonstigen Schönheitsartikeln.
Lucilles eigener Spind war leer. Als wäre sie auf der Durchreise. Im Grunde traf das sogar zu.
Der Gedanke versetzte ihr einen Stich. Sie hatte in Ava eine Freundin gefunden, und zwischen ihr und Craig bahnte sich etwas an, oder zumindest investierte sie von ihrer Seite aus Gefühle, die möglicherweise unklug waren, sich aber nun mal nicht auf Knopfdruck abstellen ließen. In Wahrheit hinterging sie alle. Eines Tages würde sie von heute auf morgen verschwinden, weil das FBI sie nach Washington, D. C., zurückholte. Ohne ein Wort des Abschieds, ohne eine Erklärung würde sie untertauchen müssen, alle vor den Kopf stoßen und verletzen. Vor allen Dingen sich selbst.
Abrupt blieb Lucille stehen. Wieso stand ihr Spind einen Spaltbreit offen?
Vorsichtig öffnete sie die Tür, die Scharniere quietschten, doch der Spind war so leer wie eh und je. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie vergessen hatte, abzuschließen. Möglich wäre das schon gewesen, hatte die wohlige Mattigkeit nach der Verschmelzung mit Craig doch ihre Glieder und Gedanken gelähmt. Aber sie erinnerte sich genau, denn das Schloss hatte gehakt, und sie hatte mehrfach versuchen müssen, den Schlüssel zu drehen, bis es schließlich geklappt hatte.
Plötzlich wurde die Zimmertür aufgerissen. Erschrocken flog Lucille herum.
Ava musste gerannt sein, denn sie keuchte und hielt sich den Bauch. »Du sollst zu Mr Bellamy kommen.«
»Was ist passiert?«, fragte Lucille. Konnte er es nicht abwarten, sie wiederzusehen?
»Sofort. Er ist in seinem Büro.« Ava rang nach Atem. »Patrick ist bei ihm.«
Das bedeutete nichts Gutes. Jegliches Wohlgefühl erstarb. Lucille erinnerte sich daran, dass der Butler aufgeregt mit Craig gesprochen hatte, als sie das Bellamy-Anwesen betreten hatte. Hatte das etwas mit ihr zu tun gehabt? »Was ist denn los? Nun sag schon!«
Ava zuckte mit den Achseln und hielt ihr die Tür auf. »Du solltest
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