Jenseits aller Tabus
Mutter, die vor sechs Jahren in einer psychiatrischen Einrichtung den Freitod wählte, da sie ohne Verbindung zum Festland nicht leben wollte.
Craig schlang seine Arme ganz fest um ihren Körper, drückte sie an sich und hauchte einen Kuss auf ihr Haar. »Versprochen.«
Während sie leise weinte, kraulte er beruhigend ihren Rücken.
Lucilles Hand glitt zu ihrem Bauch. Wie gut, dass er nach all den entsetzlichen Details zu schockiert war, um nach den geröteten Stellen zu fragen, die um ihren Nabel rankten. Das war eine andere, nicht minder unschöne Geschichte, die auch etwas mit ihm zu tun zu haben schien. Nur was?
25. KAPITEL
Es war das erste Mal, dass Lucille mit offenen Haaren durch die Bellamy-Villa ging, das erste Mal in eigener Kleidung, das erste Mal als Freundin von Craig.
Vermeintliche Freundin, korrigierte sie sich. Spielten sie wirklich nur ein Liebespaar, um die Person aus der Reserve zu locken, die ihr Übles wollte? Nach der gestrigen Nacht konnte sie sich das nur schwer vorstellen. Lucille dachte dabei nicht nur daran, wie vertrauensvoll sie sich ihm unterworfen hatte und wie behutsam er mit ihrer Hingabe umgegangen war, sondern vor allen Dingen an ihre Beichte nach dem Sex und wie tröstend er sie bis zum Morgen festgehalten hatte.
Die Grenzen von Illusion und Realität schienen zu verschwimmen. Mit seiner bloßen Anwesenheit hatte Craig die Dämonen der Vergangenheit schneller als üblich vertrieben, und, das erstaunte Lucille, sie war tatsächlich in einen tiefern, erholsamen Schlaf gefallen.
Sie machte sich einen Spaß daraus, würdevoll die Treppe ins Erdgeschoss herabzuschreiten. Ihr Crinclerock und ihre Carmenbluse waren leider weniger würdevoll. In diesem Moment bereute sie es, all ihre teure Kleidung einer wohltätigen Organisation gespendet zu haben. Einige wenige Stücke hätte sie jetzt gut gebrauchen können. Sie kam sich fehl am Platz vor, wie ein Fremdkörper.
Als Lucille in den Speisesaal kam, fand sie nicht nur Craig vor, der an der fürs Frühstück eingedeckten Tafel saß, sondern ausgerechnet auch Madison. Mad, die gerade einen Korb mit Bagels und Croissants auf den Tisch stellte, erstarrte in ihrer Bewegung. Sie lief hochrot an, nicht aus Verlegenheit, vermutete Lucille, sondern aus Wut.
Demonstrativ neigte sich Lucille zu Craig hinab und hauchte ihm einen Kuss auf den Mund. »Nochmals guten Morgen, Darling.«
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Mad alles aus dem Gesicht fiel. Welch eine Genugtuung! Äußerst zufrieden setzte sich Lucille. Kaffee zu bestellen war jedoch eine andere Sache. Sie hatte keinesfalls vor, die Angestellten herumzukommandieren, nicht einmal Madison, Taylor oder Nate.
Bevor Lucille jedoch das Wort an sie richten konnte, rauschte Madison aus dem Raum. Verdutzt schaute sie ihr hinterher. Kurz danach ertönten Stimmen auf dem Korridor. Obwohl Mad mit Patrick leise diskutierte, war doch anhand der Heftigkeit abzuleiten, dass sie sich weigerte, Lucille zu bedienen.
»Sie wird sich schon an die neue Situation gewöhnen«, ließ Craig beiläufig fallen, während er einen Bagel nahm. »Wir haben die Jagd begonnen, um den Fuchs zu stellen, und müssen damit rechnen, auch anderes Wild aufzuschrecken. Möchtest du ein Croissant, Liebes?«
Er hielt ihr den Korb hin, und sie entnahm ihm ein Hörnchen. Es war noch warm. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.
Patrick kam mit einem kleinen Tablett herein, auf dem ein Kännchen stand. Eine dicke Schicht aus Gesichtscreme glänzte auf seinem blassen Teint, und Lucille dachte unweigerlich an den Film »Interview mit einem Vampir«. Der Butler erschien durch seine zurückhaltende Art geheimnisvoll und schön wie Brad Pitt. Sie erschrak selbst über diesen Gedanken, aber tatsächlich sah er an diesem Morgen das erste Mal gut aus. Seine Haltung war entspannt, er wirkte durch seine noble Blässe beinahe ätherisch.
Der Duft frisch gemahlener Kaffeebohnen zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Ms Lamar«, begrüßte Patrick sie mit einer Höflichkeit, die Lucille überraschte. Er hob das Tablett einige Zentimeter an, um ihr Augenmerk auf die Kanne zu lenken. »Gehe ich recht in der Vermutung, dass Sie Kaffee möchten?«
»Wie aufmerksam von Ihnen. Vielen Dank.« Es war ihr unangenehm, von ihm bedient zu werden. Gestern war er noch ihr Vorgesetzter gewesen, der zudem kein gutes Haar an ihr gelassen hatte. Aber heute ließ er sich seine Ressentiments nicht anmerken.
»Kann ich
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