Jenseits aller Vernunft
wenn Ihr mich braucht«, sagte Ma.
Und so blieb Lydia allein. Sie beschäftigte sich damit, die Flammen zu schüren und in dem duftenden Eintopf zu rühren, ab und zu sah sie unnötigerweise nach Lee. Als sie schließlich nichts mehr zu tun hatte, setzte sie sich ans Feuer auf den Hocker, den Luke für sie aus dem Wagen geholt hatte, und sah in die Glut. Auf keinen Fall hatte sie Lust, sich umzuschauen, bei all den neugierigen Blicken in ihre Richtung.
Und so traf Ross sie an. Er blieb wie angewurzelt stehen, als er sie dort beim Kochtopf entdeckte. Die Abendsonne ließ ihr Haar feurig leuchten, ihre Wangen glühten rosig von der Wärme. Ihr Gestalt war viel zarter, als er sie sich vorgestellt hatte. Das weite Nachthemd hatte ihren feingliedrigen Körperbau und die weichen Rundungen verborgen. Sie hätte beinah ein brav am Feuer sitzendes Kind sein können - bis sie sich umdrehte. Da verschwand der Eindruck sofort. Sie war eine Frau.
Als sie ihn kommen hörte, sprang sie auf und stieß dabei den Hocker um. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Sie sah ihn mi ss trauisch an, was er glasig erwiderte, als hätte er hinterrücks einen heftigen Schlag versetzt bekommen.
Sie muss te den Hals etwas recken, um zu ihm aufzusehen. Ihre Kehle war schlank und lang und wirkte in einer Weise zerbrechlich, dass er sie am liebsten berührt hätte. Von der pulsierenden Halsschlagader wanderte sein Blick wie gebannt abwärts zu dem tiefen Ausschnitt zwischen ihren Brüsten. Stoff, Nähte und Knöpfe spannten bedenklich über ihrem mütterlich vollen Busen. Es fiel ihm verdammt schwer, die Augen abzuwenden.
Sie hob die Hand unsicher zum obersten Knopf, der seine Aufmerksamkeit gefesselt hatte. »Ma meinte, ich würde frische Luft brauchen.«
»Wo ist Lee?« Er war ziemlich aufgebracht, und seine Stimme hörte sich auch so an. Es ärgerte ihn vor allem, dass sie ordentlich aussah und nicht nach Schlampe, obwohl sie eine war. Außerdem hatte er sich einen Moment lang dabei ertappt, dass er sich freute, sie auf ihn warten zu sehen. Er wünschte zutiefst, er könnte sich nicht so gut daran erinnern, wie sich Lees Mund um ihre Brustwarze geschlossen hatte und welche Farbe sie hatte. Er wünschte auch, er dächte nicht immer an guten, brennend scharfen Whiskey, wenn er ihr in die Augen sah. Und am meisten ärgerte er sich über ihre Angewohnheit, sich beim Sprechen mit der Zungenspitze durch die Mundwinkel zu streichen, wenn sie nervös war.
»Hier neben mir«, sagte sie und zeigte auf das Hinterende des Wagens, wo Lee selig in seiner Apfelkiste schlummerte. »Ich höre ihn sofort, wenn er schreit.« Sie wischte sich die Hände an dem blauen Baumwollkleid ab und hoffte, er würde sie nicht hier draußen beschimpfen, wo es alle hören konnten. Denn höchstwahrscheinlich würde sie im gleichen Ton antworten und sich dadurch noch auffälliger benehmen.
Er ging zu dem Kistchen und sah hinein. Ein kleines Lächeln hob flüchtig die Enden seines Schnurrbartes und er tätschelte sanft das Hinterteil des Babys, das nach oben ragte. Lee schlief am liebsten mit angezogenen Beinchen auf dem Bauch.
Als Ross sich wieder umdrehte, war auch Lydias Blick mit einem Lächeln auf das Kind gerichtet. Ihre Augen begegneten sich noch einmal flüchtig, dann wandten sie sich beide ab. »Am Feuer steht Kaffee.« Sie zeigte hinüber.
»Danke.«
Er schob das Lasso hinunter, das über seiner Schulter gehangen hatte, und warf es über einen Haken außen am Wagen. Sein Gewehr lehnte er an ein Rad. Dann löste er den Revolvergürtel und öffnete das Lederband, das ihn an seinem Schenkel hielt. Eine solche Befestigung hatte Lydia noch nie gesehen. Als sie zusah, wie er den Gürtel von den Hüften nahm, hatte sie ein seltsames Gefühl im Bauch.
Lydia gab sich beim Eingießen der Kaffeetasse Mühe, nichts zu verschütten, obwohl ihre Hände zitterten, und hielt sie ihm dann hin. Seine Finger waren lang und schmal, wirkten gleichwohl kräftig. Auf seinen Knöcheln wuchsen dunkle Härchen, die auf der gebräunten Haut kaum auffielen. Als er die Tasse nahm, zog sie ihre Hand rasch wieder zurück, wusste aber vor lauter Nervosität nicht, wohin damit.
»Der Eintopf riecht gut.«
»Hat Ma gemacht.«
»Ach so. Riecht trotzdem gut.«
»Ja, stimmt.«
Sie sahen einander nicht an. Er trank schweigend seinen Kaffee. Die Geräusche des Lagers um sie her erschollen wie gewohnt, aber sie bemerkten kaum etwas davon, weil sie völlig aufeinander konzentriert
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