Jenseits aller Vernunft
waren.
»Ich werd’ mich mal waschen gehen«, sagte er schließlich.
»Luke hat Wasser von der Quelle geholt. Der Eintopf ist fertig, wenn Ihr soweit seid.«
Er ging hinter den Wagen und go ss sich eine Waschschüssel ein. Als er das Hemd auszog, fiel ihm auf, dass er schwitzte. Immer wieder schöpfte er sich Wasser über Kopf und Brust, doch seine Haut wurde einfach nicht kühler.
Lydia hörte seinem Geplätscher zu, bis Marynell und Atlanta Langston zu ihr herübergelaufen kamen. In Marynells kleiner, schmutziger Hand lag ein Sträußchen frischer Blumen. »Die ha’m wir für Euch gepflückt, Lydia«, sagte sie und grinste.
»Die sind aber schön«, freute sich Lydia und nahm die Blumen entgegen.
»Ihr mü ss t mal dran riechen«, wies Marynell sie an und schob Lydias Hand mit den Blumen unter ihre Nase.
»Sie duften ganz fein«, getraute sich die schüchterne Atlanta anzupreisen.
Sie wusste , was die Mädchen im Sinn hatten, und wollte ihnen den Spaß nicht verderben. Also hob sie eine der Butterblumen an ihre Nase und tat so, als würde sie tief einatmen. Als sie den Strauß senkte, sah sie den klebrigen gelben Blütenstaub an ihrer Nasenspitze. Die Mädchen quietschten vor Lachen.
»Wir haben Euch reingelegt, wir haben Euch reingelegt!« sangen sie.
»Oh, ihr kleinen Rangen, jetzt bin ich ganz verschmiert!« Lydia erinnerte sich daran, dass sie diese Kleckserei auch einmal mit ihrer Mutter gespielt hatte. Eine andere Spielkameradin hatte sie nie gehabt. Welch schöne Erinnerung! Sie rieb sich den buttergelben Fleck von der Nase.
»Die Blumen würden an Eurem Kleid bestimmt hübsch aussehen«, sagte Marynell und schubste ihre Schwester, damit sie auch etwas sagte.
»Ja, bestimmt.«
»Ich glaube, da habt ihr recht.« Lydia öffnete den obersten Knopf, den Ma gerade noch hatte zuknöpfen können. Das Atmen fiel ihr etwas leichter, allerdings erschreckte sie, wieviel Busen schwellend in der Öffnung zu sehen war. Lydia schob die Stiele der Blumen ins Knopfloch, und sie füllten die Öffnung gut aus, lagen sogar noch etwas darüber.
Wenn sie in einen Spiegel geschaut hätte, hätte ihr klarwerden können, dass ihre Erscheinung durch die Blumen nur attraktiver geworden war. Andererseits hätte sie diesen Effekt nicht als sinnlich oder verführerisch empfunden. Sie hatte eine Beziehung mit einem Mann gehabt und ein Kind geboren, aber in romantischen Dingen war sie völlig unerfahren. Sie war gezwungen worden, sich zu paaren, und konnte sich nicht vorstellen, dass eine Frau so etwas je von sich aus wollen würde.
Ross, der noch auf der anderen Seite des Wagens stand, hörte das Geplapper, dachte aber an etwas anderes. Er hatte es als angenehm empfunden, zum Wagen zurückzukommen und dort Abendessen und frischen Kaffee vorzufinden. Doch schließlich war ihm das Mädchen auch etwas schuldig. Immerhin hatte er sie bei sich aufgenommen, ihr ein Dach über dem Kopf gegeben und ihr ermöglicht, ein paar genü ss liche Tage in seinem Bett zu verbringen.
Er zog sich ein sauberes Hemd an. Sie ging nett mit Lee um, da konnte er sich nicht beklagen. Der Junge wuchs jeden Tag ein wenig. Seit sie ihn stillte, war er runder geworden und sah nicht mehr so schrumpelig und kränklich aus.
Ross hielt den Rasierspiegel hoch und kämmte sich das nasse Haar zurück. Wann hatte er das zum letzten Mal getan? Und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum er sich gerade jetzt diese Mühe machte. Na ja, Victoria hatte ihm beigebracht, als Gentleman zum Abendessen auf seine Kleidung zu achten, selbst wenn es sich um sein Alltagsgewand handelte. Und ganz sicher hatte das nichts mit der jungen Frau zu tun, die sich so herausgeputzt hatte. Nicht das geringste. Aber immerhin würden sie wohl doch eine ganze Weile Zusammenleben müssen. Wahrscheinlich würde ihnen das Leben leichter fallen, wenn sie dabei freundlicher miteinander umgingen.
Ma hatte ihre Mädchen von der anderen Seite des Lagers aus gerufen und sie waren davongelaufen. Lydia kostete mit einem Löffel den Eintopf. Er war köstlich und fast fertig.
»Guten Abend.«
Sie Stimme gehörte einem Mann und hatte den melodiösen Klang der Südstaaten. Sie hatte nichts Einschüchterndes an sich. Trotzdem schlug Lydias Herz schneller. Sie wollte mit niemandem reden. Erst vor ein paar Minuten waren Leona Watkins und ein halbwüchsiges Mädchen, das wie ihre Tochter aussah, vorbeigekommen, die Augen streng geradeaus gerichtet und die Nasen hoch erhoben. Das
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