Jenseits aller Vernunft
keine Schwierigkeiten haben, den Wagen zu verkaufen, es soll sogar eine Warteliste dafür geben. Die Leute lagern in weitem Umfeld um die Stadt, nur um ein Fahrzeug zu ergattern. Ich werde einen Pritschenwagen kaufen, bevor wir weiterziehen.«
Lydia hatte ihm zugehört, war aber mit den Gedanken woanders. »Möchtet Ihr, dass ich Euch die Haare schneide?«
»Was?« Er hob den Kopf, als wäre er ein Mechanismus mit einer Feder daran.
Lydia ließ ihre Vorsicht beiseite. »Euer Haar. Es fällt Euch dauernd in die Augen. Möchtet Ihr, dass ich es Euch schneide?«
Er glaubte nicht, dass das im Augenblick pa ss te; nein, sie ging wirklich zu weit. Trotzdem konnte er nicht einfach darüber hinweggehen. »Ihr habt doch die Hände voll«, murmelte er und deutete auf Lee.
Lachend meinte sie: »Den verwöhne ich sowieso viel zu sehr. Er gehört schon längst ins Bett.« Damit wurde das Kind in seine Kiste gepackt und mit einer leichten Decke gegen die Feuchtigkeit geschützt.
Sie trug eine der Hemdblusen und einen Rock von denen, die er am Tag zuvor gekauft hatte. Sonst gäbe es nämlich Gerede, er sorge nicht für seine Frau; genauso würde man sich wundern über sein Lager draußen, während seine Neuvermählte im Wagen schlief. Es war ihm höllisch schwergefallen, und er wusste nicht, wie er noch mehr solche schlaflosen Nächte wie die letzte überstehen sollte. Aber sein Stolz verlangte es so. Wenn genügend Zeit vergangen war und niemand mehr Verdacht schöpfte, würde er wieder draußen schlafen wie etliche Männer aus Rücksicht auf Frau und Kinder.
Die neuen Kleider gefielen ihr. Im Laufe des Tages hatte sie sie bestimmt zehnmal auseinander-und wieder zusammengefaltet. Ross konnte nicht entscheiden, ob er sie für eine Frau aus besseren Verhältnissen halten sollte, die alles verloren hatte, oder für eine, die noch niemals so schöne Stücke besessen hatte. Wenn er es sich genau überlegte, wusste er eigentlich nichts über sie... aber sie über ihn ja auch nicht, genausowenig wie die anderen!
Lediglich eines stand fest: Ein Mann hatte sie berührt, gekü ss t, auf intimste Art gekannt, und je mehr Ross darüber nachdachte, desto verrückter machte ihn der Gedanke. Wer war das gewesen, und wo war er jetzt? Jedesmal, wenn Ross sie ansah, stellte er sich vor, wie dieser Kerl auf ihr lag, ihren Mund kü ss te, ihre Brüste, seine Hände in ihr Haar wühlte, seinen Körper tief in ihrem vergrub. Und am meisten beunruhigte ihn, dass der Bursche allmählich seine Züge annahm.
»Habt Ihr eine Schere?«
Ross nickte, obwohl ihm klar war, dass er vom Regen in die Traufe geriet und sich zur nächsten schlaflosen Nacht voller Qualen verdammte. Er wollte sie so gern hassen. Aber er wollte ebensogern mit ihr schlafen.
Er gab ihr die Schere und setzte sich wieder auf den Hocker. Sie legte ihm ein Handtuch um den Hals und wies ihn an, es vorn mit einer Hand zusammenzuhalten. Dann stellte sie sich mit etwas Abstand vor ihm auf und legte den Kopf zur Seite, um ihn prüfend anzusehen.
Als sie nach seiner ersten Locke griff, nahm er schnell ihr Handgelenk. »Ihr wollt mich doch nicht schlachten, oder? Wisst Ihr, was Ihr da tut?«
»Natürlich«, sagte sie, und fröhlich funkelte es in ihrem Blick. »Was denkt Ihr denn, wer mein Haar schneidet?« Sein Gesicht verlor jede Farbe. Sie lachte laut. »Da habe ich Euch angst gemacht, stimmt’s?« Sie schüttelte seine Hand ab und tat den ersten Schnitt. »Ich glaube nicht, dass ich Euch allzusehr verstümmeln werde.« Sie stellte sich hinter ihn und begab sich ans Werk.
Sein Haar fühlte sich genauso gut an, wie sie es sich vorgestellt hatte. Es war kräftig und dicht, aber doch seidig. Sie spielte mehr damit, als zum Schneiden wirklich nötig war, in der Hoffnung, das Vergnügen dergestalt zu verlängern. Flüchtig unterhielten sie sich über Lee, verschiedene Leute aus dem Wagenzug und lachten über Luke Langstons neuesten Streich.
Immer mehr dunkle Strähnen sammelten sich auf dem Boden, und es fiel ihm immer schwerer, seine Stimme ruhig zu halten, wenn sich ihre Brüste an seinen Rücken drückten oder seinen Arm streiften, während sie arbeitete. Einmal blieb ein Haarbüschel auf seinem Ohr liegen, und Lydia beugte sich vor, um es wegzupusten. Ross hob so abwehrend den Arm, dass er sie fast umgeworfen hätte.
»Was macht Ihr da?« Ihr warmer Atem hatte ihn mit Begehren erfüllt, das wie Kanonenkugeln durch seine Adern donnerte. Seine Hand zog das Handtuch um den Hals so
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