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Jenseits aller Vernunft

Jenseits aller Vernunft

Titel: Jenseits aller Vernunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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»Macht hier sauber.«
    Lydia traf seine Grobheit und sein knapper Befehl völlig unvorbereitet, doch augenblicklich siegte der Ärger über die Verblüffung. Sie packte seine Hand und klatschte die Schere heftig hinein. »Macht doch selber sauber. Es sind Eure Haare. Und habt Ihr noch nie von dem Wörtchen >danke< gehört?«
    Sie machte auf dem Absatz kehrt, schlüpfte aus Hemd und Rock, faltete sie sorgfältig zusammen, kroch in ihr Bett und zog sich die Decke über den Kopf.
    Er stand da und sah ihr ohnmächtig zu, dann wandte er sich ab und holte den Besen.
     
    Am nächsten Tag schien die Sonne. Und am Tag darauf überquerten sie den Mississippi.
    Alle befanden sich in heller Aufregung, als die Wagen in einer Reihe die Uferböschung hinab zum Flu ss rollten. Mr. Grayson sammelte die Fährgebühr von jedem ein, die, wie so vieles in Nachkriegszeiten, viel zu hoch war. Zwei dampfgetriebene Fähren würden jeweils zwei Wagen, ihre Zugpferde und die dazugehörigen Familien transportieren.
    Lydia war genauso gespannt wie alle anderen. Bis sie den Flu ss sah. Auch wenn er ein Ozean gewesen wäre, hätte er ihr nicht riesiger, grenzenloser und bedrohlicher erscheinen können. Sie drückte Lee schützend an ihre angsterfüllte Brust und sah zu, wie die ersten Wagen auf die Fähren geschoben und die Räder festgezurrt wurden. Sie sah das schlammige Wasser an den Rumpf der Fähre klatschen.
    Eine tief in ihr vergrabene Erinnerung brach sich Bahn. Der brackige Geschmack von Flu ss wasser, das ihr in Mund und Kehle drang, lag ihr förmlich auf der Zunge und nahm ihr den Atem genau wie damals.
    Sie waren auf einer ihrer seltenen Fahrten in die Stadt gewesen. Ausnahmsweise hatte der alte Russell ihr und ihrer Mama erlaubt, mitzukommen. Seit einer Woche schon freuten sie sich auf diesen Tag. Sie muss ten einen Arm des Tennessee auf einem Stocherkahn überqueren. Das kleine Mädchen lehnte sich über das Geländer und schaute zu, wie die Sonne auf dem Wasser glitzerte. Clancey kam von hinten und schubste sie ein wenig, dass es den Anschein von Unabsichtlichkeit hatte, aber stark genug war, sie über Bord zu werfen.
    Mit großer Mühe kam sie wieder an die Oberfläche, spuckte und keuchte. Das Wasser zog schwer an ihrem Rock und dem einen Unterrock, den sie besaß. Durch verschleierte Augen sah sie Otis und Clancey ausgelassen lachen, sich auf die Schenkel schlagen und jauchzen über ihre mi ss liche Lage. Mama hatte beide Hände an den Kopf gepre ss t und schrie, sie sollten sie herausholen. Sie griff nach der splittrigen Kante der Fähre, aber Clancey trat mit seinem Stiefel nach ihrer Hand. Eine ganze Minute lang hatte sie voller Qualen um sich geschlagen, aber sie halfen ihr nicht. Als Mama versuchte, sie zu retten, hinderten sie sie daran. Schließlich packte Clancey eine Handvoll von ihrem Haar und zerrte sie heraus. »Na, hat dir das Schwimmen Spaß gemacht?« höhnte er.
    Sie war damals etwa elf gewesen und konnte sich nun wieder an das Grauen erinnern, das sie empfunden hatte, als das Wasser sich über ihrem Kopf schlo ss , in Nase und Mund drang und ihr den Atem nahm. Jetzt starrte sie wie gebannt auf die Fluten des Mississippi und begann, vor Angst zu schlottern.
    Sie zitterte noch immer, als Ross, der beim Anbinden der Wagen geholfen hatte, zu ihr trat. »Wir sind als nächste dran. Ihr stellt Euch mit Lee da drüben neben den Maschinenraum. Die Langstons fahren mit uns hinüber.«
    »Ross«, rief sie, als er sich umdrehte und fortging. »Wo... wo werdet Ihr sein?«
    »Bei meinen Pferden.«
    Sie nickte bleich und nervös. »Ach ja, natürlich.«
    Er stutzte einen Augenblick, doch ging dann wieder daran, die Wagen so zügig wie möglich auf der Fähre zu vertäuen. Lydia trat auf die sanft schaukelnde Fähre, hastete hinüber zum Maschinenraum und drückte sich fest an die vibrierenden Wände, während sie Lee an sich pre ss te. Ma kam auch zu ihr, während die Kinder sich so nah wie möglich an der Reling aufhielten. An dieses Abenteuer würden sie sich bis ans Ende ihres Lebens erinnern, und nach einer ausdrücklichen Mahnung zur Vorsicht überließ Ma sie dem Vergnügen.
    Die Fähre hatte gerade ein Drittel der Strecke zurückgelegt, da rief Marynell: »Kommt her und schaut, Lydia.« Sie zeigte ins Wasser auf etwas, das da schaukelnd in der Strömung schwamm und die Kinder belustigte.
    »Nein, ich muss bei Lee bleiben.«
    »Geht ruhig«, sagte Ma und nahm ihr das Baby ab, bevor sie widersprechen konnte. »Ihr seid

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