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Jenseits aller Vernunft

Jenseits aller Vernunft

Titel: Jenseits aller Vernunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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doch selbst noch fast ein Kind. Geht und amüsiert Euch.«
    Um nicht auszusehen wie ein Feigling, wagte sie sich näher an den Rand des Schiffes. Verzweifelt versuchte sie Ross irgendwo auszumachen, aber der ließ sich nicht blicken. Obwohl sie den Kindern ein unsicheres Lächeln zuwarf, konnte die auf den Wellen treibende Apfelkiste ihre Beklemmung kaum lindern. Eigentlich sah sie nur die unergründlichen Tiefen, das Wirbeln der Strömung und das schäumende Wasser, das an der Schiffswand leckte. Ihre Zähne klapperten. Sie konnte wieder spüren, wie jenes dunkle Element sich über ihrem Kopf schlo ss und wie ihre Lungen brannten.
    Als die Panik sie so heftig ergriff wie ihre Erinnerung an das Wasser, drehte sie sich verzweifelt um und strebte davon. Voller
    Entsetzen schob sie die erstaunten Langston-Kinder aus dem Weg und rannte auf ihren Wagen zu. Mit geblähten Nasenflügeln, weitaufgerissenen Augen und schweratmend kletterte sie über das Rad des Wagens das hintere Ende hoch, zog sich zur geschlossenen Rückseite aufwärts und fiel schwer atmend hinein.
    Ma hatte das alles mit angesehen und rief ihren Kindern, die Lydia wie aufgescheuchte Hühner folgten, zu, sie sollten stehenbleiben. »Geh und hol Mr. Coleman, Atlanta. Sag ihm, er soll Luke die Pferde überlassen.« Bubba hielt das Leitpferd von Ross’ Wagen, sein Vater das der Langstons.
    Wenige Sekunden später rannte Ross über die Planken der Fähre, die Hand in alter Gewohnheit auf den Pistolengurt an seiner Hüfte gelegt. »Was ist los?«
    »Lydia. In Eurem Wagen.«
    »Lee?«
    »Geht’s prima. Kümmert Euch um Eure Frau, Mr. Coleman.«
    Ma hielt seinen Blick einen vielsagenden Augenblick lang fest, dann stürmte er zum Wagen. Als er hastig hineinkletterte, sah er sie in einer Ecke zusammengekauert liegen, den Kopf unter den Armen verborgen. Sie schluchzte hemmungslos.
    »Lydia!« schrie er. »Was zum Teufel...« Seinen Hut beiseite werfend, war er mit wenigen Schritten neben ihr und hockte sich hin. Er streckte die Hände aus, um sie zu trösten. Doch dann schwankte er einen Augenblick und zog sie wieder zurück.
    »Lydia«, sagte er sanfter. Ihr Weinen klang gottserbärmlich, wie aus einem Abgrund. »Alle sind schrecklich besorgt um Euch. Was ist geschehen?«
    Wie für die meisten Männer waren auch für ihn Tränen ohne logischen Grund nicht nachvollziehbar. Und ebenso wie die meisten Männer wurde er wütend, als er keine Erklärung bekam. »Lydia, um Himmels willen, sagt mir doch, was ist. Seid Ihr verletzt? Habt Ihr Schmerzen?« Ob sie sich den Kopf verletzt hatte und ihn deswegen mit den Armen bedeckte? Er versuchte, ihre Arme zu lösen, doch sie hielt sie eisern fest.
    Verzweifelt packte er sie an den Schultern und schüttelte sie so heftig, dass sie die Arme fallen ließ. Sie sah ihn mit wirrem Blick an und krallte sich an seinem Hemd fest. »Stoß mich nicht... ins Wasser... in den Flu ss . Bitte... nicht... stoßen...«
    Ross starrte sie in stummem Unverständnis an. Er hatte Männer gesehen, die ihrem Tod aus dem Lauf einer Pistole entgegensahen, nur Sekunden bevor ihnen das Gehirn aus dem Schädel gepustet wurde - aber er hatte noch nie ein solches Grauen auf einem Gesicht gesehen. Ihre Pupillen waren so stark geweitet, dass nur noch ein schmaler, bernsteinfarbener Ring sie umgab. Ihre Lippen sahen kalkweiß aus, kein Tropfen Blut schien mehr durch ihr Gesicht zu fließen.
    »Lydia, Lydia«, drang es beschwörend aus seinem Mund, und er bemerkte nicht, dass er die Hände hob und ihr Gesicht umfa ss te. »Wovon sprecht Ihr nur?«
    »Der Flu ss , der Flu ss «, wimmerte sie und klammerte sich noch fester an sein Hemd.
    »Niemand wird Euch in den Flu ss stoßen. Ihr seid in Sicherheit.«
    Sie schluckte, ihre Zunge glitt über die trockenen Lippen. Ihre Brust hob und senkte sich mit jedem röchelnden Atemzug. »Ross?« Sein Name kam als Frage, sie sah ihm tief in die Augen, als wolle sie ihn erkennen.
    »Ja, ich bin es.«
    Ihr Körper entspannte sich erleichtert, und ihr Kopf fiel nach vorn an seine Brust. Da er seine Hände immer noch um ihr Gesicht gelegt hatte, zog er sie enger an sich, bis sie an seiner Brust lehnte. So bewegungslos verharrten sie, bis sie wieder normal atmete. »Warum sollte dich denn jemand in den Flu ss stoßen wollen?« fragte er schließlich mit einem rauhen Flüstern.
    Sie hob den Blick zu seinem, sagte aber nichts, sah ihn nur in dieser Weise an, die er gleichzeitig zermürbend und fesselnd fand. »Wir waren doch

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