Jenseits aller Vernunft
Nur mit klarem Kopf war es möglich, Clark auf die Spur zu kommen. Der junge Mann war vorsichtig und schaffte es nun schon seit Jahren, seinen Verfolgern immer wieder zu entwischen. Detektiv Majors würde ihn fassen, und von einem Hitzkopf wie Gentry wollte er sich seine Pläne nicht durchkreuzen lassen. »Ich glaube nicht, dass er Eure Tochter beseitigt hat. Das ist nicht sein Stil. Sonny ist wild und rücksichtslos und gemein, aber getötet hat er bisher immer nur, wenn man ihn in die Enge getrieben und bedroht hat, nicht aus Vergnügen. Außerdem habt Ihr doch gesagt, dass er Eure Tochter anbetet.«
»Ich sagte, es sah so aus, als bete er sie an. Er hat uns in jeder anderen Hinsicht auch zum Narren gehalten, wie könnt Ihr da erwarten, dass ich glaube, er hätte sie wirklich geliebt? Die Dienerschaft sagte mir bei meiner Rückkehr aus Virginia, sie wären schon seit Wochen fort. Ohne jede Nachricht. Nichts. Benimmt sich ein Schwiegersohn so? Ich habe keine Ahnung, wohin er sie verschleppt hat.«
»Wir werden sie finden.«
Majors’ Gemeinplätze wurden langsam lästig. »Also bisher habt Ihr ihn nicht gefunden, oder?« bellte Gentry. »Obwohl am ganzen Lauf des Mississippi Steckbriefe hingen, konntet Ihr Sonny Clark nicht dingfest machen.«
»Wir haben die Suche aufgegeben, weil wir dachten, er wäre tot. Darum muss te ich die Steckbriefe auch aus einer alten Akte heraussuchen. Er wurde bei einem Bankraub angeschossen.
Wir waren sicher, dass ihn die übrigen Mitglieder der James-Bande irgendwo haben liegenlassen. Offensichtlich ist es ja auch so gewesen, denn bei allen folgenden Dingern, die Jesse und Frank gedreht haben, war er nicht mehr dabei. Wir haben nie wieder etwas von Sonny gehört, bis Ihr vorgestern in mein Büro kamt und mir das Bild von Eurer Tochter und ihrem Ehemann Ross Coleman gezeigt habt. Ich schätze, er hatte sich irgendwo verkrochen, bis er wieder fit war, hat sein Aussehen geändert und sich den Anschein eines gesetzestreuen Bürgers gegeben.«
Die Gläser auf dem Tisch klirrten erneut, diesmal allerdings, weil ein Betrunkener dagegengestolpert war. Er fiel halb über Majors, bevor er sich wieder ganz aufrichtete. »’tschuldigung«, murmelte er, torkelte zum nächsten Tisch und fiel auf einen Stuhl. »Whiskey«, lallte er.
Gentry beäugte ihn mit Abscheu. Er war dreckig und seine Kleider mit getrocknetem Blut befleckt. Vielleicht ging er nicht nur seiner Trunkenheit wegen so unsicher. Sein dünnes Haar war von geronnenem Blut verklebt, er stank vor Dreck und Schweiß. Gentry wollte gerade vorschlagen, dass sie ihr Gespräch woanders fortsetzen sollten, als Majors den Faden bereits wieder aufgenommen hatte.
»Ich habe mich mal umgehört. Da war der Alte oben in den Hügeln.« Majors sah auf seinen Notizblock. »John Sachs. Er war tot, und das zweifellos schon seit Wochen, als unsere Leute ihn schließlich fanden. Keine Anzeichen für einen Kampf. Ist offensichtlich an Altersschwäche gestorben. Keine Hinweise darauf, wohin Clark unterwegs sein könnte. Letzten Monat haben sie im McMinn County einen Treck organisiert.«
Gentry schnaubte. »Ihr kennt ihn nicht so gut, wie Ihr glaubt, Majors. Ross... Sonny ist ruhelos, immer in Bewegung. Er reitet besser als jeder andere Mensch, den ich kenne.«
»Das habe ich schon von einer Menge Banditen gehört«, erwiderte Majors trocken.
»Er würde sich nicht mit einem lahmen Wagenzug abgeben.«
»Doch, durch den hätte er auch Schutz. Wenn er mit seiner Frau reist wie jeder andere Auswanderer, würde er nicht auffallen.«
Gentry schüttelte den Kopf. »Wenn er die Taschen voll mit dem Schmuck hat, und glaubt mir, Victorias Schmuck ist ziemlich wertvoll, würde er nicht in Richtung Grenze damit ziehen. Vielleicht nach New Orleans, New York oder sonst wohin , wo er den Schmuck gut verkaufen könnte.«
»Vielleicht habt Ihr recht, aber wir wissen es nicht.«
»Aber dafür bezahle ich Euch, Mr. Majors«, sagte Gentry säuerlich. »Ich fahre nach New Orleans. Ich kenne die Stadt.«
»In Ordnung. Dann breche ich auf nach St. Louis. Wir verständigen uns über das Telegrafenamt und mein Büro hier in Knoxville. Ich lasse schon mal Steckbriefe mit seinem >neuen< Gesicht drucken.«
»Nein«, sagte Gentry scharf, so dass der Mann vom Nachbartisch prüfend herüberschaute. »Ich will nicht, dass jemand erfährt, dass meine Tochter mit einem notorischen Bankräuber verheiratet ist, dass er uns beide hereingelegt und uns wertvoller Erbstücke
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