Jenseits aller Vernunft
an sich zu ziehen, hätte man sie ohne weiteres umblasen können, so verblüfft war sie.
»Dann wünschen wir Euch noch einen angenehmen Abend«, verabschiedete sich Winston und ging mit Moses zurück zum Rastplatz.
Ross ließ sofort seinen Arm sinken, und Lydia war zutiefst enttäuscht. Einen Augenblick lang war ihr der Gedanke an einen gemeinsamen Spaziergang zum Flu ss angenehm erschienen. Mit Victoria hatte er so etwas freilich unternommen, dachte sie matt.
Aber es würde keinen hübschen Spaziergang geben. Sie nahm an, der Streit ginge jetzt weiter. Und obwohl sie sich einer Fortsetzung eigentlich nicht gewachsen fühlte, sah sie ihn herausfordernd an.
»Herumhurender Hinterwäldler?« fragte er leise.
»Was?« Wollte er sie absichtlich verwirren? Er schäumte gar nicht mehr, ein Grinsen hob sogar kurz einen Zipfel seines Schnurrbarts.
»Wo in aller Welt hast du nur so einen Ausdruck gehört, und wie konntest du dich dazu überwinden, ihn zu wiederholen?«
Diese Beschimpfung hatten Otis und Clancey oft ihren Nachbarn ins Gesicht geschleudert. Lydia hatte gedacht, dass , wenn sie es benutzten, es sicher die schlimmstmögliche aller Beleidigungen war. »Ist das etwas Ungehöriges?« fragte sie eingeschüchtert, und ihr Blick wurde weit.
Ross legte den Kopf in den Nacken und lachte. Das war das erste Mal, dass sie ihn so lachen sah, und nachdem sie ihn erstaunt gemustert hatte, stimmte sie mit ein.
»Ungehörig?« fragte Ross schließlich und rieb sich die Tränen des Gelächters aus den Augenwinkeln. »Ja, allerdings. Wenn ich du wäre und wie eine Dame behandelt werden wollte, würde ich es nicht noch einmal in den Mund nehmen.« Er fing wieder an zu kichern, und als er sich schließlich beruhigt hatte, lehnte er sich an den Baum und ließ sich am Stamm abwärtsgleiten, bis er auf dem Boden hockte. Er sah mit einem Blick zu ihr auf, den sie an ihm noch nicht kannte. Es war fast ein Ausdruck von Zärtlichkeit darin.
»Verdammt noch mal, Lydia, was soll ich bloß mit dir anfangen?« Er strich sich mit den Fingern durchs Haar und ließ den Kopf hängen. »Erst erzürnst du mich so, dass ich dir mit bloßen Händen den Hals umdrehen könnte, dann wieder bringst du mich zum Lachen wie schon lange keiner mehr.«
Er starrte eine Weile vor sich hin, und sie wünschte, sie würde sich trauen, sein Haar zu berühren und die tiefe Falte zwischen seinen Brauen zu glätten. Als er sie wieder ansah, wirkte sein Gesicht ausdruckslos. »Ich schätze, bis Jefferson werden wir wohl oder übel zusammenbleiben müssen.«
»Das glaube ich auch.« Und dann? Sie hatte Angst, ihn zu fragen. Es war nicht ideal, mit einem Fremden verheiratet zu sein, der unter solchen Stimmungen schwankte, aber wenigstens schlug er sie nicht. Es war ihr lieber, in seiner Nähe zu sein, als so allein wie noch vor einem Monat. Im Gegenteil, sie vermi ss te ihn sogar öfter, wenn er nicht in Sicht war. Welche Laune er auch haben mochte. »Es tut mir leid, wirklich leid wegen meiner... meiner Milch. Ich konnte das ja nicht wissen, als wir geheiratet haben.«
Sofort wanderte sein Blick wieder zu ihren Brüsten. Sie waren so voll und verführerisch wie je zuvor. »Nein, das stimmt«, sagte er. »Ich war auch nicht dir böse, sondern dem Schicksal.«
Er war verzweifelt gewesen, weil seine Frau so früh hatte sterben müssen, hatte die Fassung verloren, weil er dieses Mädchen geheiratet hatte, während er sich gleichzeitig einredete, sie sei Abschaum und verachtenswert. Und es machte ihn rasend, weil er sie trotz all dieser Makel so sehr begehrte.
»Warum hast du Mr. Hill gesagt, du würdest mit mir zum Flu ss gehen? Warum hast du deinen Arm um mich gelegt?« Die letzten Worte sagte sie zu ihren Schuhen, weil sie den Kopf ergeben gesenkt hatte.
Weil ich ihn nicht mit dir flirten lassen wollte. Weil ich verdammt eifersüchtig war. Weil es mir eine Gelegenheit gab, dich zu berühren. »Er und Moses haben uns wahrscheinlich streiten hören. Ich wollte nicht, dass es nachher heißt, ich würde dich schlecht behandeln.«
»Oh«, sagte sie voll bitterer Enttäuschung.
»Geh’n wir zum Wagen zurück. Ma kommt bestimmt auch gleich mit Lee.« Er überraschte sich selbst und Lydia, indem er seine Hand um ihren Oberarm legte, um sie zu führen.
»Das ist aber wirklich der bedauerlichste Anblick, den ich je erlebt habe.«
Bubba Langstons heller Schopf hob sich aus dem Wasser, und er tauchte prustend auf. Nur ein kleines Stück weiter lag Priscilla
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