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Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Titel: Jenseits der Alpen - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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feststellen.
    Er hatte kein Gefühl für die Zeit. Die Schlampe sollte die verdammte Tür aufmachen. Einen kurzen Moment lang stellte er sich vor, wie er sie hernehmen würde. Sie sollte Schmerzen haben. Sollte leiden. Sie sollte merken, was sie ihm angetan hatte. Eine Erinnerung fürs Leben sollte es werden.
    Nach Atem ringend drückte er die Klinke der Beifahrertür herunter. Die Tür ließ sich öffnen. Er zog sie hinter sich zu, und dann war er über ihr.
    Er hatte noch Zeit. Sein Abnehmer in der Großmarkthalle in München öffnete für ihn trotz des Neujahrstags um drei Uhr in der Früh die Tore. Als er in Wörgl den Lkw von der RoLa hinuntergefahren hatte, war es kurz vor halb zehn gewesen. Nach München über die Autobahn brauchte er, wenn er schnell fuhr, zweieinhalb Stunden. Er konnte sich eine Pause leisten.
    Exakt um Mitternacht hielt er in einer Parkbucht an und schaltete das Radio ein. Endlich hatte es aufgehört zu schneien. Ein paar Sterne blinkten am Himmel. Auf Funk waren vorher bereits Tausende krächzender Stimmen zu hören gewesen. Er vermutete, dass seine Frau noch wach war, um ins neue Jahrtausend hineinzufeiern. Er holte die Piccolos aus dem Kühlfach, die er eigentlich mit der Italienerin hatte köpfen wollen. Auf dein Wohl, Selma! Er warf einen kurzen Blick nach hinten. Schlaff lag sie auf dem Rücken in der Koje. Tot. Erschlagen und erwürgt.
    »Hallo, Helen!«, rief er ins Telefon, als seine Frau dran war. »Ein gutes neues Jahr! Ich hab hier einen Sekt. Hol dir auch schnell ein Glas, dann stoßen wir an.«
    Die Eheleute stießen im Geiste an und wünschten sich beide ein gutes und gesundes neues Jahrtausend.
    »Heute Nachmittag bin ich ja schon wieder bei euch«, sagte Gollek. »Was macht Karl? Und wie geht’s Giorgio?«
    »Der Bub ist okay. Er geht neuerdings sogar mit dem Hund spazieren. Er und Giorgio sind unzertrennlich geworden.«
    Gollek nickte im Dunkeln vor sich hin. Er war zufrieden. Nach einem kurzen Gute-Nacht-Gruß beendete er das Gespräch. Er ließ den Motor an und wollte losfahren. Als er hinter sich ein verhaltenes Geräusch hörte, erschrak er.
    Die Frau konnte es nicht sein. Sie war tot. Aber wer sonst? Er ließ den Motor laufen, kniete sich auf seinen Sitz und knipste das Kojenlicht an.
    Sie hatte ihre Position verändert. Wie bei einem erschöpften Hund lag ihr Gesicht seitwärts an einen zusammengeschobenen Wulst des Lakens geschmiegt. Von dort sah sie ihm aus riesengroßen Augen direkt ins Herz. Die Augen folgten ihm, ohne dass sie den Kopf bewegte.
    Gollek schüttelte sich. Es war unwirklich. Er hatte so lange auf sie eingedroschen, bis sie tot war. Das Blut an der Kojenwand war noch frisch. Sie hatte sich nicht mehr gerührt. Sie musste tot sein. Mit der Hand hatte sie es ihm machen wollen. Das hatte er nicht zugelassen. Er wollte alles, was ihm zustand, stieß zu und stieß zu, und sie schrie.
    »Piantala!« , hatte sie geschrien und sich mit Händen und Füßen gewehrt. »Hör auf!« Eine Zeit lang jedenfalls, bis er sie einfach mit seinem Körper und seinen Gliedmaßen erdrückt hatte.
    »Piantala!« Sie musste tot sein! Alles andere wäre ein Wunder. Er erinnerte sich genau. Sie hatte ihn ausgesperrt! In Schnee und eisige Kälte. Außer sich vor Wut hatte er die Beifahrertür aufgerissen und sie sich gegriffen. Dann hatte er ihr die Hand auf den Mund gepresst, weil er ihr Gekreische nicht mehr ertrug. Sein Zorn hatte sich nicht gelegt. Im Gegenteil, er war noch stärker geworden, noch brutaler. Je mehr sie schrie, desto stärker waren seine Hiebe in der Ekstase auf sie eingestürzt. Auf ihren Kopf, ihre Schultern, ihre Brust, den ganzen Oberkörper.
    In ihrem ganzen italienischen Wortschwall hatte er immer wieder »Mafia« und »Sardegna« verstanden. Er fasste es als Drohung auf, was es wohl auch war. Er hatte sie mit der blanken Faust geschlagen, bis ihm die Knöchel und das Gelenk schmerzten.
    Und nun lebte sie! Ihre Augen folgten jeder seiner Bewegungen. Sie folgten ihm auch, als er sich aus seiner knienden Haltung aufrichtete und sich über sie beugte. Irgendwie hatte sie es geschafft, sich freizuschütteln und sich auf den Ellenbogen abzustützen. Ihr Gesicht war blutverschmiert. Doch ihre Augen leuchteten und ragten quicklebendig aus der geschwollenen Masse.
    Auf einmal – schneller, als er reagieren konnte – kam Bewegung in den leblosen Körper. Blitzschnell zauberte sie eine Tasche hervor, holte eine kleine silberne Pistole heraus und richtete sie

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