Jenseits der Alpen - Kriminalroman
einen verschneiten Parkplatz, der geräumt war und trotzdem ausreichend Versteck für die kleinen Geschäfte bot.
»Macht schnell. Erfriert euch nichts.«
Sie selbst telefonierte derweil im Auto mit Jochen. Als sie fertig war, waren die Mädchen noch nicht da. Sie zog den Anorak enger und marschierte in die Richtung, in die sie gelaufen waren. Bestimmt waren sie hinter dem hügeligen Gelände mit dem Gebüsch dort drüben. Dürre Zweige, die sich wie auf einem Scherenschnitt im Sonnenlicht reckten. Funkelnder Schnee. Schon nach wenigen Metern teilten sich die Zweige, und die Mädels kamen ihr entgegengerannt. Sibi wusste sofort, dass etwas passiert sein musste.
»Sibi! Sibi! Tante Sibylle!« Sie fuchtelten wild mit den Armen.
»Der Arm«, rief die eine.
»Eine Hand schaut raus«, die andere.
Beide sollten recht behalten.
Ein Auto fuhr über den Autobahnparkplatz und hupte gereizt.
* * *
Ganz München saß im Freien, sobald der erste Sonnenstrahl sich zeigte. Auch an einem 2. Januar. Das Café Schwabing unweit von Ottakrings Wohnung am Elisabethplatz hielt dafür einen gigantischen Vorrat an Wolldecken, Sitzkissen und Heizschwammerln bereit.
Joe Ottakring hätte lieber ein Weißbier bestellt. Doch mit Rücksicht auf seinen guten Ruf nahm er mit einem Kaffee vorlieb. Er hatte ein paar Tage Urlaub genommen. Es gab dringende private Dinge zu erledigen, und seiner Mutter ging es wieder schlechter. Außerdem hatte er kurz mit dem Gedanken gespielt, sich in einen Zug nach Bozen zu setzen. Einfach so. Doch dann stellte sich heraus, dass er erst nach dem Abendessen dort eintreffen würde, und ebenso war ihm klar, dass er am ganzen morgigen Tag nur eines im Sinn haben würde: möglichst schnell wieder in die Stadt zurückzukommen, um in Lolas Nähe zu sein. Und weil es heute so ein herrlich sonniger Tag war, hatte er Lola angerufen und gefragt, ob sie ihm nicht auf einen Kaffee Gesellschaft leisten wolle. Ihre Antwort war kurz gewesen und ihre Anwesenheit schnell erfolgt. Ottakrings und Lolas Liebe war frisch und voller Zärtlichkeit und Leidenschaft.
Nun hatte er seinen zweiten Cappuccino in Arbeit, während sich Lola Herrenhaus an einer Johannisbeerschorle festhielt, in der drei Eiswürfel klimperten. Er hob den Kopf und sah sie an. Sie erwiderte seinen Blick aus ruhigen Augen.
»Herr Ottakring?« Der Nachteil, wenn man bekannt ist. Die Kellnerin, die den Kaffee gebracht hatte, hielt ihm ein Telefon hin. »Telefon für Sie.«
Er versah Lola mit einer entschuldigenden Geste. »Ja? Ottakring.« Es konnte nur seine Dienststelle sein. Doch woher wussten sie …?
»Hallo, Herr Ottakring, Agnes hier. Ich störe ungern, aber der Herr –«
»Schon gut. Was gibt’s denn? Und woher wissen Sie, wo ich gerade bin?«
Verhaltenes Kichern am anderen Ende. »Betriebsgeheimnis. Wir haben eine Leiche. Können Sie hinfahren?«
Ja, er konnte. Es tat ihm zwar in der Seele weh, Lola verlassen zu müssen. Doch Ottakring wäre nicht Ottakring gewesen, hätte er nicht die Pflicht höher als alles andere geschätzt.
»Die Autobahnmeisterei wurde von einer Zeugin verständigt«, erklärte Agnes. »Die Autobahnmeisterei hat die Autobahnpolizeistation Holzkirchen verständigt. Die haben sofort eine Streife zum Fundort geschickt. Und da es sich vermutlich um gewaltsame Fremdeinwirkung handelt –«
»Ja, Agnes, schon gut. Wo ist der Fundort? Und ist die Spusi schon verständigt?«
Heiseres Krächzen. »Auf einem Parkplatz an der A 8 Richtung München bei Kilometer dreizehn. Spusi und Rechtsmedizin verständigt. Sie brauchen nur mehr hinzufahren.«
»Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte Ottakring, bevor er auflegte.
»Eine Frau, die mit ihren Kindern dort Pause gemacht hat. Sie werden sie antreffen, wenn Sie dort sind.«
Ottakring fuhr auf direktem Weg zum Autobahnanschluss Ramersdorf. Mit dem Innenstadtverkehr hatte er Glück, er kam gut durch, war allerdings viel zu schnell unterwegs. Auf der A 8 musste er zunächst ein Stück Richtung Rosenheim–Salzburg fahren, um dann in der Gegenrichtung zurück zum beschriebenen Parkplatz zu kommen.
Sein Kollege Waller wartete schon auf ihn. Der Kommissar war Mitte fünfzig, groß und stämmig und sah mit seiner Goldrandbrille, dem glatt rasierten rosigen Gesicht, dem Bäuchlein und den darüber gefalteten Händen aus wie ein Bischof in Zivil. Er war dick in einen tarnfarbenen Parka gehüllt, der offensichtlich aus Bundeswehrbeständen stammte.
Der Parkplatz war abgesperrt,
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