Jenseits der Alpen - Kriminalroman
Nacht in Frieden ließ. Woher war die Frau gekommen, was hatte sie durchlebt, wo hatte die Tat stattgefunden? Wer war in ihren letzten Stunden bei ihr gewesen, und wer hatte sie schließlich getötet?
Immer wieder überfiel ihn das Gefühl, etwas verinnerlicht zu haben, was nach einer Deutung verlangte. Er empfand genau wie kürzlich, als er über ein Datum gestolpert war, das ihm bekannt vorkam, das er aber nicht zuordnen konnte. Als ihm endlich einfiel, dass Lola und er sich an diesem Tag in der Stadtbibliothek über den Weg gelaufen waren, war es zu spät gewesen. Sie hatte ihn bereits mit einem Blumenstrauß überrascht.
Etwas musste er gesehen, gehört, gelesen oder kombiniert haben, worauf er ums Verrecken nicht kam. Irgendwann würde der Gedanke zünden, da war er sich sicher.
Er goss sich ein Glas Mineralwasser ein und vertiefte sich in die vor ihm liegenden Papiere.
Die Nacht auf den 16. März 2000, einen Donnerstag, wurde eine der längsten in Joe Ottakrings Leben der letzten Jahre. Er würde am nächsten Morgen vor die versammelte Presse treten müssen – und hatte nichts in der Hand. Er würde sich rechtfertigen müssen, und dem fühlte er sich nicht gewachsen. Als hätte man ihn schutzlos in einen Käfig voller Raubtiere gestoßen.
In voller Absicht hatte man die Konferenz um halb sieben in der Früh anberaumt. Trotzdem waren die zahlreichen Akkreditierungen keine Überraschung.
Der Raum war eng, überheizt und die Luft stickig. Kriminalisten, Journalisten und Fernsehleute saßen eng beieinander. Kameras und Scheinwerfer waren auf den Kopftisch gerichtet, an dem der Staatsanwalt, Bruni und Ottakring Platz genommen hatten. Mehr als ein Dutzend Reporter nicht nur der süddeutschen Presse waren angereist. Man hatte sogar Stühle aus Nebenzimmern herbeiholen müssen. Der Fall war im gesamten deutschsprachigen Raum von Interesse.
Leider war der Sachverhalt nach mehr als zwei Monaten nicht nur ungelöst, die Mordkommission besaß auch keinerlei Anhaltspunkte zur Aufklärung der Tat.
»Tatzeitpunkt?«
»Null bis drei Stunden nach Mitternacht am 1. Januar 2000.«
»Sozusagen der erste Mord im neuen Jahrtausend?«
»Sozusagen, ja.«
»Und die Tote konnte noch nicht identifiziert werden?«
»Das ist korrekt. Die Tote wird nirgendwo vermisst. In Deutschland nicht und in den Nachbarländern nicht. Anhand der uns vorliegenden Fakten konnte ihre Identität bisher nicht festgestellt werden.«
»Haben Sie Fotos veröffentlicht? Was haben Sie sonst unternommen, um die Identität der getöteten Frau festzustellen?«
»Wir sind selbstverständlich den üblichen Weg gegangen. Haben bei uns im Präsidium und beim LKA nach allen vermissten weiblichen Personen geforscht. Unsere Person war nicht dabei. Wir haben nach vergleichbaren Fällen in unserer Region gesucht. Interpol in Rom wurde vorsorglich eingeschaltet. Auch hier kein Ergebnis. Ihre Zeitungen, verehrte Damen und Herren, haben das Foto gebracht, Öffentlichkeits- und Pressefahndung also. In jeder Autobahnpolizeistation in Dänemark, in Tirol, in der Toskana hängt ihr Foto aus. Das Foto nämlich, das Sie kennen. Es gibt bisher keinen einzigen ernst zu nehmenden Hinweis aus der Bevölkerung. Ein Mensch in totem Zustand trägt andere Züge als im Leben.«
»Es stimmt aber, dass es sich um ein besonders schweres Kapitalverbrechen handelt? Wer richtet einen Menschen so zu und aus welchem Motiv?«
»Das kann alles sein. Wut, Eifersucht, Sexualrausch, blinder Hass, Rache. Habgier in diesem Fall eher nicht. Auch reiner Sadismus ist nie auszuschließen. Wir wissen naturgemäß nicht, ob diese Frau Feinde hatte oder welche Gewohnheiten sie pflegte. Wir können zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ahnen, wie ihre letzten Stunden verliefen. Auch nicht, wie sie an den Ort gelangt ist, an dem sie aufgefunden wurde. Das ist leider so, wenn man von jemandem nichts weiß. Ziehen Sie von einem Menschen Anrede, Herkunft, Umfeld und Sprache ab – dann haben Sie, was von dieser weiblichen Person übrig geblieben ist.«
»Frage noch zur viel gerühmten DNA : Es sind doch bestimmt Spuren in dieser Richtung an der Toten gefunden worden, auch wenn sie längere Zeit im Schnee gelegen hat. Werden die denn weiter verfolgt?«
»Nächste Frage.«
»Ich wiederhole: Werden vorhandene DNA -Spuren weiter verfolgt?«
»Ich übe mich in Geduld. Auch wenn Sie eine DNA -Spur in Händen haben, benötigen sie eine Vergleichs- DNA , sonst ist alles wertlos. Und diese Referenz- DNA
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