Jenseits der Alpen - Kriminalroman
Kopf. »Polizeilich nicht. Es steht nichts in den Akten. Kein Ehestreit. Keine Tierquälerei. Kein Ladendiebstahl. Keine Rauferei im Suff. Alles überprüft. Nichts. Wir kannten die Leute bisher gar nicht.«
»Dass die Frau öfter in fremden Autos mitgefahren ist, war Ihnen auch nicht bekannt?«
Die Antwort bekam Waller nicht mehr mit. Sein Mobiltelefon spielte verrückt. »Ja, Waller.«
»Lola Herrenhaus hier. Wollen Sie das auf sich sitzen lassen?«
Waller blickte ratlos auf das Display. »Wie bitte? Wer ist da?«
»Lola Herrenhaus.«
»Ach, die Radio… Sie möchten bestimmt ein Interview über den Fall haben. Geht nicht, Gnädigste. Mit Stand heute sind wir noch nicht so weit.«
»Nein, kein Interview. Ich bin Kriminalrat Ottakrings Partnerin. Seine Lebensgefährtin. Ich möchte, dass Joe nach Deutschland überführt wird. Er muss in meiner Nähe sein. Dann geht’s ihm gleich besser.«
Waller machte eine ungeduldige Handbewegung in Richtung Nunzio und Commissario. »Der wird gleich reden«, sagte er leise.
»Wie bitte?«, kam es aus dem Telefon. »Wer wird gleich reden? Der behandelnde Arzt?«
»Der wird nicht zustimmen. Ottakring ist nicht transportfähig.«
Der italienische Polizist sah ihn verständnislos an.
»Ach was«, sagte Lola. »Irgendjemand hat sein Telefon gesperrt. Oder dort in der Klinik ist offenbar kein Empfang. Ich kann ihn jedenfalls momentan nicht erreichen. Bitte helfen Sie weiter. Ich brauche lediglich die Erlaubnis, ihn abzuholen. Alles Organisatorische erledige ich selbst.«
Tolle Stimme! Waller hörte sie manchmal im Radio, wenn er unterwegs war. Und nun sprach sie mit ihm. »Ich werde mein Möglichstes tun, Frau Herrenhaus.« Er warf einen vielsagenden Blick auf Agnes.
»Holen Sie ihn raus! Ich rufe Sie morgen wieder an.«
Danach war Funkstille.
»Problemi?« , fragte der Commissario teilnahmsvoll.
»Nur ein einziges«, musste Agnes ins Italienische übersetzen. »Wir müssen herausfinden, wer Selma mitgenommen hat und wann und wohin sie gefahren ist oder gebracht wurde.«
»Ja! Waller! Sind Sie’s noch mal?« Wallers Gesicht lief rosa an.
»Wer soll’s noch mal sein?«, fragte Ottakring am Telefon.
Waller schaltete einen Gang zurück. Die Farbe im Gesicht aber blieb. »Ottakring? Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein, danke«, hörte er den Kriminalrat sehr ruhig sagen. »Ich hab nur eine Frage.«
»Und die wäre?«
»Ich gehe davon aus, dass ihr Bahn und Bus überprüft habt?«
Waller wurde blass. »Sind wir grad dabei …«, sagte er.
»Ich gehe außerdem davon aus, dass Selma per Anhalter gefahren ist«, schloss Ottakring.
Rosenheim, Anfang April 2000
Am Mittwochabend war ein Flugzeug der ADAC -Luftrettung auf dem Flugplatz Olbia gelandet. Den Donnerstag verbrachte Kriminalrat Ottakring bereits auf der chirurgischen Station des Klinikums in Rosenheim. Es war sein eigener Wunsch gewesen, nach Rosenheim zu kommen, um sich unter die Obhut seines Freundes Professor Lindner zu begeben. Am selben Abend schlang Lola die Arme um ihn. Sie verbrachten zwei glückliche Stunden in seinem Zimmer.
Davon abgesehen erstreckten sich Ottakrings bandagierte Körperteile in unterschiedliche Himmelsrichtungen. Er fühlte sich wie ein Kasperl. Doch er hatte neuen Mut gefasst. Reden konnte er. Ein kleines Lächeln konnte er sich nicht verkneifen, als er daran dachte, wie bestimmt Lola sich eingeschaltet hatte, als es um seinen Rücktransport ging.
»Danke, Liebste«, verabschiedete er sie.
Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn lange auf den Mund.
Ein Nebel der Zärtlichkeit und der Sehnsucht umfing ihn, als sie ging. Es fiel ihm schwer, danach zum Hörer zu greifen und dienstlich zu werden.
»Wir jagen einen Serienmörder«, schloss er das Telefonat mit seinem Abteilungsleiter im Präsidium ab. »Glauben Sie mir. Die drei Fälle hängen zusammen. Der Täter ist derselbe.«
Die ganze Nacht über wälzte sich Ottakring in seinem Klinikbett, soweit ihm das möglich war. Vier Zentimeter nach links, zweieinhalb nach rechts. Und immer den Arm nach oben gestreckt! Schließlich drückte er den Notruf.
Fünf Minuten später stand die Nachtschwester bei ihm im Zimmer.
»Mein Telefon, bitte.«
Die Reaktion war nicht anders, als hätte er nach einem Gin Tonic verlangt. »Ja, sind Sie denn …«
Doch am Ende wählte sie sogar die gewünschte Nummer und hielt ihm ungefragt das Telefon ans Ohr.
»Hallo, Waller!«, rief er hinein. »Hören Sie mich?«
Wallers Antwort erfolgte nicht
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