Jenseits der Alpen - Kriminalroman
zu dürfen. Tom, Matthes und Ina waren jung, flott und ehrgeizig.
Sebastian Scholl, Leiter des Kommissariats, goss sich ein Glas Wasser ein und hielt als Hausherr eine kurze Begrüßungsansprache. Unter anderem stellte er Ottakring als den Leiter der SoKo vor. Dieser Schritt wäre unnötig gewesen, denn es gab keinen in der Runde, der den Münchener Kriminalrat nicht kannte. Der saß mit einer Backe lässig vorn auf einem Tisch. Die Stirnpartie seines Kopfes war verbunden, der rechte Arm in einer Schlinge fixiert.
»Ich habe Ihnen die drei Fälle vorbereitet, um die es geht«, sagte Ottakring. »Jenny Galland wird Ihnen die Synopse in die Hand drücken. Auch die Zeitungsberichte über die jeweiligen Fälle liegen bei.«
Während Jenny die Papiere austeilte, verfiel einer nach dem anderen beim Studieren in konzentriertes Schweigen.
Als Ottakring damals frisch zur Mordkommission gestoßen war, war das die Krönung seiner Laufbahn. Er war stolz gewesen, dass er es geschafft hatte, und ihm war klar, dass er diese Beförderung hauptsächlich zwei Eigenschaften verdankte: Geduld und seinem brillanten Gedächtnis für Einzelheiten. Inzwischen hatte der Kriminalrat schon mehr als ein Dutzend solcher Sonderkommissionen geführt.
»Der Fall Selma Ruspanti liegt uns sehr am Herzen und schwer im Magen«, begann er. »Die Tat geschah an Neujahr, und wir haben April. Für sich genommen, war er bisher nicht aufklärbar. Doch wenn wir die drei Fälle verbinden, die vor Ihnen liegen, erkennen wir enge Zusammenhänge. Die Opfer sind junge Frauen, alle wurden sexuell missbraucht, es ist äußerste Brutalität im Spiel, sie wurden in der Nähe einer Autobahn getötet und die Leichen dort abgelegt.« Er ließ den Blick kreisen. Alle außer dem Mann vom LKA folgten ihm aufmerksam. »Wissen Sie was? Wir machen es uns einfach. Wir folgen einfach dem Sperma«, endete er ohne eine Spur von Spott.
Dann strahlte er den Mann vom LKA an, der gerade die Bügelfalten seiner Hose prüfte. »Verehrter Herr Werzmichnow … Herr Werchmirzaw … Werchzmer…« Er warf einen hilflosen Blick auf die Teilnehmerliste.
»Werzmirzowsky«, verbesserte der Mann mit undurchsichtiger Miene.
»Entschuldigen Sie.«
»Kein Problem. Sie sind da nicht der Erste. Selbst Polen haben mit meinem Namen ein Problem. Nennen Sie mich einfach Werz.«
»Gut. Sie nehmen bitte Kontakt auf zu Oberleutnant Spurny in Innsbruck und zum Vizepräsidenten Dr. Gamper in Bozen und halten dann die Verbindung. Selbstverständlich werden Sie auch Interpol einschalten. Wir müssen zügig arbeiten können, vor allem im Ausland. Falls Dienstreisen notwendig werden, kümmern Sie sich bitte auch darum. Einverstanden?«
Werz prüfte weiter den Zustand seiner Hose, streckte aber den erhobenen Daumen über den Kopf.
»Ich schlage vor«, fuhr Ottakring fort, »dass Sie, meine Münchener Kollegen, sich um den Mord vom August 97 bei Padua kümmern. Und die Rosenheimer übernehmen den Pustertal-Fall Amelie Bartz. Hier wäre vor allem von Bedeutung, wo der Hund Giorgio verblieben ist.« Ottakring rutschte von der Tischplatte und breitete die Arme aus. »Erhebt jemand Einwände?«
Mayr hob die Hand. Er war ein kräftiger vierzigjähriger Mann mit schwarzem Schnauzer und dunkelblauer Baseballmütze auf dem Kopf. »Keinen Einwand, nur eine Frage, um sicher zu sein. Die beiden früheren Morde sind tatsächlich bis heute nicht aufgeklärt? Ist das nicht seltsam? Woran mag das liegen?« Während er sprach, blätterte er in den Papieren vor ihm auf dem Tisch.
Ottakring nickte. »Es wird die gleichen oder ähnliche Gründe haben, warum wir beim Selma-Fall noch nicht weitergekommen sind. Die beiden Leichen wurden zwar identifiziert, und es gab meines Wissens einige wenige Hinweise aus der Bevölkerung. Doch auf eine wirklich heiße Spur ist man offensichtlich nicht gestoßen.«
»Aber …«, rief Werz, ohne aufzublicken.
»Was, aber?«, fragte Mayr.
»Aber jetzt kommt’s.«
»Was kommt?«, fragte Mayr. Er hatte sich umgedreht und sah Werz direkt ins Gesicht.
»Herr Ottakring wird uns gleich erklären, was die Statistiken über Serienmörder aussagen.«
Das hatte Ottakring in der Tat vorgehabt. »Ja, was wir über Serienmörder wissen, wird uns helfen, unseren Mann zu finden. Dass es ein Mann ist, ist nach Ihren Statistikkenntnissen doch wohl eindeutig, nicht wahr, Herr Werz?« Liebevoll umringte er den Mann mit Blicken.
»Solche Statistiken kommen oft von uns, vom LKA «, entgegnete Werz
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