Jenseits der Alpen - Kriminalroman
richtige Farbe. Zu teuer. Eigentlich will ich diesen Film nicht sehen. Abgehakt.
Da waren zu viele Menschen! Ganze Horden standen herum. Weitere kamen, andere gingen. Taxifahrer. Wartende Autos. Abholer. Radfahrer. Man würde sich an sein Auto erinnern, sein Nummernschild notieren, sein Gesicht beschreiben.
Adieu, schönes Mädchen.
Gollek drehte eine letzte Runde durch die Stadt.
Provinz Verona, Venetien, zweite Aprilwoche 2000
Das Nest im südlichen Europa, von dem aus der Gemüsehändler Mirko Vlahovic sein Geschäft betrieb, lag nördlich von Verona mitten auf dem Land. Eine gewaltige Hochspannungsleitung überquerte das Dorf, das aus einem Dutzend Häusern, der Tankstelle und einer Inspektion Carabinieri bestand.
Die Carabinieri befanden sich in einem lang gestreckten Steingebäude, von dem der ursprünglich grüne Anstrich abbröckelte. Im einzigen größeren Raum saßen Waller und Agnes Vlahovic gegenüber, einem bulligen Mann mit den ausgeprägten Gesichtszügen eines Braunbären und finsterem Blick. Sein Aussehen passte gar nicht zu ihm, wie sich herausstellen sollte. Der Händler war ein herzensguter Mensch. Sein Wagen mit der Firmenaufschrift wartete draußen. Gemeinsam mit Vlahovic sahen sie sich noch einmal das Video aus der Tankstelle an. Mariedda, die Ispettora, hielt sich dezent im Hintergrund.
»Ja«, sagte der Händler, »ich kann mich gut erinnern. Ich habe die Frau mitgenommen.«
»Warum?«, fragte Agnes. Gegen die geballte Wucht des Mannes, der ihr gegenübersaß, wirkte sie wie ihre eigene Karikatur.
»Warum? Sie hat so traurig ausgesehen, so hilflos. Die meisten Anhalter sind irgendwie gut drauf. Sie sah aus, als wäre sie von zu Hause weggelaufen. Aber dafür war sie zu alt. Ich hatte einfach das Bedürfnis, sie zu fragen, ob ich sie irgendwohin mitnehmen kann.«
Waller stellte seine Fragen auf Deutsch. Agnes hätte sie auch auf Italienisch vorwegnehmen können, so logisch waren diese Fragen.
»Wohin haben Sie die Frau mitgenommen? Und wann war das?«, fragte er.
Vlahovic stand auf und trat zu der Landkarte, die neben der Eingangstür an der Wand hing. »Hier sind wir«, sagte er und legte den Finger auf einen Punkt. »Und hier ist Bussolengo. Hier habe ich sie wieder abgesetzt.«
Er schilderte, dass er sein Gemüse an den Markt von Bussolengo liefern musste und wie er ihr die dortige Taverne empfohlen hatte, in der auch die Fernfahrer verkehrten. »Ich dachte mir, dort bekommt sie am ehesten Anschluss nach … nach … ich hab den Namen vergessen. Eine Stadt in Deutschland.«
Die Deutschen blieben eine Weile still.
»Haben Sie sie direkt an die Taverne gefahren?«, fragte Waller dann. »Hat Sie dort jemand gesehen?«
Vlahovic musste lachen. »Ob mich dort jemand …?« Er schüttete sich aus vor Lachen. »Mich kennt am Mercato jeder. Ich werde begrüßt wie ein Herrscher. An diesem Tag haben sie mir alle zu meiner neuen Eroberung gratuliert. Sie dachten, die junge Frau gehört zu mir. Schön wär’s.«
»Wie heißt die Taverne?«, fragte Agnes.
Der Händler sah sie mit großen Augen an. »Da fragen Sie mich jetzt etwas. Ich verkehre bestimmt seit zwanzig Jahren dort. Sie werden es mir nicht glauben, aber ich habe keine Ahnung, wie die Taverne heißt. Oder ob sie überhaupt einen Namen hat. Ich glaube, sie heißt einfach so wie der Markt: Mercato . Doch sicher bin ich nicht. Sie werden sie schon finden.«
Agnes notierte. Sie kamen weiter. Sie konnten den Weg der Selma Ruspanti verfolgen. Nächste Station Bussolengo.
Durch Mirko Vlahovic ging ein Ruck. Er sprang auf und sprach zu der italienischen Polizistin. »Sag mir«, sagte er, »worum geht’s denn eigentlich? Warum fragen mich die Deutschen aus? Ist mit der Kleinen etwas passiert? Wird sie etwa vermisst?«
Man konnte Mariedda die Antwort am Gesicht ablesen. »Sie ist tot«, sagte sie leise und kam nach vorn. »Mausetot ist sie.«
»Halt«, gebot Agnes, als der Bullige bereits die Klinke in der Hand hatte. »Sagen Sie uns bitte noch, wann das war. Um wie viel Uhr haben Sie die Frau am Markt abgesetzt? Wissen Sie das noch?«
Vlahovic brauchte nicht lange zu überlegen. »Es war meine zweite Fuhre an diesem Tag«, sagte er. »Das weiß ich genau. Also war es so um zwei Uhr mittags. Mittagessenszeit.«
Die Pasta dampfte auf dem Teller, als sie sich alle drei an geriebenem Käse bedienten. Waller hatte Vongole als Zutat gewählt, Mariedda etwas Undefinierbares, und Agnes saß vor einer Portion Spaghetti Carbonara, die
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