Jenseits der Alpen - Kriminalroman
los.
Aber im Kino.
Gemächlich bog er in die Straße ein, die zum Citydome führte. Wenn die Filme um zwanzig Uhr fünfzehn begannen und eineinhalb bis zwei Stunden dauerten, mit Werbung zwanzig Minuten mehr, würde sich ab halb elf, elf also ein Strom von Kandidatinnen über den Parkplatz vor dem Kino ergießen. Seine Uhr zeigte Viertel vor zehn.
Als er da im Auto auf dem Kinoparkplatz saß und wartete, spürte Thorsten Gollek ein großes Unbehagen. Wie sollte er ein Mädchen in sein Auto locken? Sie würde sich wehren, und er hatte kein Mittel, sie vor aller Öffentlichkeit ruhigzustellen. Er müsste sie betäuben, doch ihm fehlte das Zeug dazu. Wie sollte er sie auf dem Beifahrersitz an den Menschen vorbei durch die geschlossene Schranke bringen? Eine Möglichkeit wäre der Kofferraum. Doch auch das war entschieden zu riskant. Er machte sich Vorwürfe, so spontan gehandelt und sich nicht vorbereitet zu haben. Eine innere Warnuhr begann zu ticken.
Doch Gollek nahm sich vor, erst einmal abzuwarten.
Erinnerungen tauchten auf.
Thorsten Gollek hat drei ältere Schwestern, die ihn wegen seiner Akne hänseln, als er sich in der Pubertät befindet. Das war Anfang der siebziger Jahre. Die Familie hat nur ein Badezimmer, und die Kinder haben sich abzuwechseln, wenn sie zur Toilette müssen oder morgens, um sich für die Schule fertig zu machen. Regelmäßig schaut der Junge durchs Schlüsselloch, wenn eine der Schwestern im Bad ist und er sich unbeobachtet fühlen kann. Eines Tages ertappt ihn die Älteste dabei und erpresst ihn. »Sonst sag ich es Mama.« Er muss ihr und ihrem Freund einen Kinobesuch bezahlen. Von seinem ersparten Taschengeld. Das schmerzt.
Er passt die beiden nach Kinoende ab und folgt ihnen bis zu einem Fichtenwäldchen. Er beobachtet die Schwester und ihren Freund beim Petting und wartet ab, bis sie sich heftig keuchend übereinander hermachen. Dann greift er ein. Er verprügelt den Freund und malträtiert ihn mit Fäusten und Füßen, bis er reglos liegen bleibt. Seine Schwester schreit, bis er ihr den Mund zuhält und sie bedroht. Sie muss sich auf den Boden legen und zusehen, wie er onaniert und den Samen auf ihren halb nackten Körper ergießt.
Im Sommer desselben Jahres langt er einem wildfremden Mädchen im Schwimmbad an die Brust und zwischen die Beine. Ein Bademeister greift ihn sich und übergibt ihn der Polizei. Schuldgefühle zeigt Thorsten keine. Wegen seiner hässlichen Akne hat er keine Chance beim anderen Geschlecht. Es ging nur so.
Gollek schüttelte die Erinnerung ab. In seinem Alter hatte er nicht mehr mit Akne zu kämpfen. Gut, ein paar Narben waren geblieben, doch die machten sein Gesicht eher interessant, fand er.
Das Kino war aus.
Wie die Ameisen strömten die meist jungen Burschen und die jungen Mädchen aus dem Rosenheimer Citydome heraus und zwischen den geparkten Autos hindurch zum Parkhaus, zu ihrem Auto auf dem Platz, oder sie suchten sich zu Fuß einen Weg. Auch ein paar Ältere waren darunter.
Gollek hatte das Standlicht eingeschaltet und wartete zwischen den abgestellten Fahrzeugen auf dem Fahrweg, der direkt zu der Schranke am Ausgang führte. Er hatte sich einen Plan ausgedacht. Sein Herz klopfte ungewohnt schnell. Er meinte es schlagen zu hören.
Es hatte leicht zu nieseln begonnen. Die Scheibe beschlug. Er drehte das Fenster einen Spalt herunter. Ein Mädchen kam angerannt. Seine Zöpfe flogen. Es schien direkt auf ihn zuzukommen. Als ob es vor etwas fliehen würde.
Da ließ er die Scheibe ganz herunter. »Hallo, du da!«
Doch sie flog an ihm und dem Auto vorbei. Gollek riss die Tür auf und sprang aus dem Wagen.
Wie ein verirrtes Reh sprang das Mädchen über den Platz, zwischen den Autos hindurch, und kam schließlich wieder auf Gollek zugehüpft. »Rette mich!«, rief sie. »Rette mich vor den Typen!«
Gollek fuhr herum. Jetzt erst sah er, wie zwei Halbwüchsige vom Hintereingang des Kinos her über den Platz fegten und offenbar nach der Kleinen suchten. Sie riefen einen Namen, den Gollek nicht verstand. Doch das war ihm egal. Die Chance, die ihm hier vom Himmel fiel, musste er ergreifen.
»Komm!«, rief er und streckte beide Arme aus. »Komm her!« Er riss die Beifahrertür auf, ergriff den Unterarm des Mädchens und schleuderte sie in einer kreisenden Bewegung auf den Sitz. Dann hechtete er um das Auto herum, öffnete die Tür, startete den Motor und drückte aufs Gas.
»Danke«, versuchte das Mädchen auszurufen, doch der Dank ging in ihrem
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