Jenseits der Alpen - Kriminalroman
Stimme hatte sie ihm einige Zärtlichkeiten gesagt, die ihn ganz wepsig machten, als er das Gerät abgehört hatte. Doch dann war das alles in der aufregenden Tagesarbeit untergegangen. Er stieß einen Fluch aus. Das musste er auf der Stelle wieder bereinigen.
»Ja? Wer ist denn da? Wie spät ist es?«, fragte Lola mit schlaftrunkener Stimme.
»Ich bin’s«, säuselte Ottakring. »Dein Joe. Und es ist gleich Mitternacht.«
Lola hörte sich nicht wacher an, als sie antwortete. »Mitternacht? Ich brauche den Schlaf. Morgen ist ein schwerer Tag. Deinen Anruf hab ich früher erwartet. Lass mich jetzt schlafen, gute Nacht!«
Klick. Ottakring hielt den Hörer noch eine ganze Weile in der Hand. Bis es wieder klingelte. Sein Herz machte einen Freudensprung.
»Hallo, Liebste! Bist du jetzt wach?«
»Nein, ich bin’s nur, der Waller.«
O verdammt. Andererseits – wenn der mitten in der Nacht anrief –, da konnte es sich nur um Neuigkeiten handeln. »Ja? Was gibt’s?«
»Wir haben ihn«, platzte Waller heraus. »Unser Mann ist in seinem Lkw mit Selma Ruspanti über die Rollende Landstraße gefahren, äh …«
»Weiß man auch wann?«, fragte Ottakring ungeduldig. Er war mit einem Schlag hellwach.
»Wollte ich grad sagen. Es war in der Silvesternacht oder in der darauffolgenden. Beide sind eindeutig identifiziert worden. Entschuldigen Sie –«
»Dass Sie anrufen? Alles richtig gemacht! Warten Sie einen Augenblick, Waller …« Ottakring hatte die Decke zurückgeschlagen und stieg jetzt aus dem Bett. Denken konnte er am besten, wenn er in Bewegung war. Und der Schmerz, den er im Liegen noch immer hatte, ließ nach. »Wenn Sie dieses Zeitfenster schon so eingegrenzt haben, muss es doch möglich sein, den Mann exakt zu ermitteln. Sie sitzen bekanntlich an der Quelle.«
In der Pause, die am Telefon entstand, ließ sich Ottakring ein Glas Leitungswasser einlaufen. Waller musste offenbar nachdenken.
»Ganz so einfach ist das nicht«, gab er schließlich zurück. »Wir wissen, wie unser Mann aussieht, aber noch nicht, wie er heißt. Die Papiere –«
»Ja, ja, ich hab schon verstanden. Wie viele Züge sind in dem Zeitraum gefahren, wie viele Lkws haben sich darauf befunden?«
Ottakring vernahm ein verhaltenes Lachen. »Sie schalten schnell, Ottakring. Die Agnes und ich, wir sind gerade dabei, genau das auszuwerten.«
Ottakring war über das Lob aus dem Mund seines Kollegen nicht sonderlich stolz. »Und wann –«
»Ich kann’s nicht genau sagen. Aber ich denke, bis Mittag müssten wir so weit sein, wenn uns die Augen nicht zufallen oder die Leute hier am Terminal uns nicht rausschmeißen.«
Mittag also. Dann beginnt die große Kleinarbeit, frohlockte Ottakring. Dann werden wir ihn fangen.
»Ich habe zwei Bitten, Herr Waller: Erstens, Sie faxen mir das Ergebnis, sobald Sie’s haben. Und zweitens kommen Sie anschließend mit Agnes zurück.«
* * *
»Das Mädchen wurde gefunden«, sagte Matthes, der junge Rosenheimer, zu Ottakring. »Es lebt.«
Er kam mit Ina den Gang auf der zweiten Etage des Präsidiums herunter, als er auf den Kriminalrat stieß. Es war ein langer Flur, der selbst am Tag beleuchtet war. Links und rechts Türen, teils geöffnet, teils geschlossen, am äußersten Ende ein Vernehmungsraum.
»Welches Mädchen?«, fragte Ottakring leicht abwesend.
»Das nach dem Kino nicht nach Hause kam. Es war die ganze Nacht vermisst. Das ging zwar an die Vermisstenstelle, aber es hätte ja sein können, dass Sie …«
Ottakring schüttelte den Kopf. Außer Lola und RoLa hatte er zurzeit nichts im Kopf. Er wartete auf das Fax vom Brenner. Doch die Information erweckte seinen polizeilichen Instinkt zum Leben. Er hielt im Gehen an. »Was ist denn geschehen?«
Ina übernahm die Schilderung des Sachstands. Heute hatte sie einen fast dunkelblauen Lippenstift aufgetragen. »Ein vierzehnjähriges Mädchen namens Roswitha Hufschmied wurde am Freitagabend gegen halb elf vor dem Citydome-Komplex entführt. Die Wärmebildkamera eines Suchhubschraubers hat sie schließlich in den frühen Morgenstunden in der Hofau entdeckt.«
»Hofau? Wo liegt das?«
»Eine absolut abgelegene Gegend am Inn. Das Mädchen ist nicht verletzt, steht aber noch unter Schock. Es wird dann im Krankenhaus von den Kollegen angehört.«
»Informiert mich, wenn ihr das Ergebnis wisst.«
Das Ergebnis der Recherchearbeit vom Brenner kam um exakt elf Uhr Lokalzeit. Ottakring überflog das Fax und ließ sich mit Waller
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